Chronisches Erschöpfungssyndrom: Studie findet frühe „Immunsignatur“

New York – Das chronische Erschöpfungssyndrom, das nach einem Vorschlag des Institute of Medicine (IOM) künftig „systemic exertion intolerance disease” (SEID) genannt werden soll, hinterlässt möglicherweise doch Spuren im Immunsystem. US-Forscher beschreiben in Science Advances (2015; 1: e1400121) signifikante Veränderungen in mehreren Zytokinen, die auf eine erhöhte Immunantwort in den ersten drei Jahren hindeuten. Die Forscher sprechen von dem ersten Beleg für eine organische Genese der Erkrankung und der Aussicht auf einen Labortest.
Viele Patienten bezeichnen das Chronische Müdigkeitssyndrom (CFS) als Myalgische Enzephalomyelitis (ME), um sich gegen die verbreitete Einstufung als psychosomatische Erkrankung zu wehren. Doch einen Labortest oder irgendein objektivierbares Krankheitszeichen gibt es nicht. Wie bei psychiatrischen Leiden beruht die Diagnose allein auf den Schilderungen der Patienten.
Das Leitsymptom ist laut IOM eine substanzielle Einschränkung im Alltagsleben, die mit einer Erschöpfung nach Anstrengungen („post-exertional malaise“) und einem nicht erholsamen Schlaf („unrefreshing sleep“) einhergeht. Einige Patienten klagen zusätzlich über kognitive Einschränkungen oder orthostatische Störungen, die das IOM als Nebenkriterien der Diagnose betrachtet.
Es hat in den letzten Jahrzehnten nicht an Versuchen gemangelt, eine organische Genese zu belegen. Vor einigen Jahren schien es sogar, als würde die Erkrankung durch ein Retrovirus ausgelöst. Doch die Berichte über den Nachweis eines „xenotropen murinen Leukämie-Virus“ (XMLV) im Blut der Patienten konnten nicht reproduziert werden und gelten heute als widerlegt.
Ein Team um Ian Lipkin von der Columbia Universität in New York, der damals an den Überprüfungen beteiligt war, hat jedoch die archivierten Blutproben erneut ausgewertet und ist dabei auf eine auffällige „Immunsignatur“ gestoßen. Bei den 52 von 298 Patienten, die innerhalb der ersten drei Jahre nach Einsetzen der Symptome untersucht wurden, fanden sie auffällige Abweichungen zu 348 gesunden Kontrollen.
Sie betrafen vor allem einen Anstieg von Interferon gamma, der mit einer Odds Ratio OR von 104 (95-Prozent-Konfidenzintervall 6,9-1574,0) ins Auge sticht. Interferon gamma wird typischerweise nach Virusinfektionen vermehrt gebildet. Dazu gehört das Epstein-Barr Virus, das mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom oder jetzt SEID in Verbindung gebracht wurde, ohne dass je ein schlüssiger Beweis geführt werden konnte.
Der Anstieg von Interferon gamma war in der aktuellen Studie auf die ersten drei Jahre beschränkt. Danach war die Konzentration niedriger als in der Kontrollgruppe. Leitautorin Mady Hornig, ebenfalls von der Columbia Universität, deutet diesen Abfall als Zeichen einer Erschöpfung des Immunsystems, das die langfristigen Symptome erklären könnte. Der langfristige Abfall von Interferon gamma war jedoch nicht signifikant. Nach schweren Viruserkrankungen ist eine Erschöpfung mit einem vorübergehenden Anstieg von Interferon gamma (und anderer Zytokine) nicht ungewöhnlich. Die Besonderheit des SEID besteht darin, dass sich die Patienten nicht wieder erholen.
Die ersten Reaktionen anderer Experten fielen verhalten aus. Peter White von der Queen Mary University of London wies gegenüber der BBC darauf hin, dass die Forscher die Konzentration von insgesamt 51 Immunproteinen bestimmt haben. Abweichungen des einen oder anderen Parameters könnten trotz der deutlichen Odds Ratio ein reiner Zufallsbefund sein, meint White. Dies wissen auch Hornig und Lipkin, die deshalb versuchen wollen, ihre Ergebnisse in weiteren Kohorten zu bestätigen.
Die bisherigen Erfahrungen mit wissenschaftlichen „Durchbrüchen“ in der Erforschung des SEID - zuletzt zur Virusgenese mit XMLV - mahnen zur Zurückhaltung. Der Leidensdruck hat in den USA zur Bildung von Patientenorganisationen geführt, die die Forschung sponsern. Die Forscher stehen dann unter einem gewissen Druck positive Forschungsergebnisse zu präsentieren.
Bei der XMLV-Affäre sah sich eine Forscherin (Judy Anne Mikovits) dem Vorwurf der Datenmanipulation ausgesetzt, die sogar eine Verhaftung zur Folge hatte. Das Verfahren gegen die Forscherin wurde später aber wieder eingestellt.
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