Corona: Ärzteverbände gegen Aufhebung der Impfpriorisierung

Berlin – Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) und der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes (DHÄV) haben sich dafür ausgesprochen, Coronaimpfstoffe auch weiterhin gemäß der Priorisierung zu verabreichen.
„Ich halte es für falsch, die Impfpriorisierung jetzt schon komplett preiszugeben“, sagte Marburger-Bund-Chefin Susanne Johna der Rheinischen Post. „Es sind ja noch gar nicht alle Personen mit Vorerkrankungen und erhöhtem Risiko geimpft. Die sollten auch in den Impfzentren noch Vorrang haben.“
Bund und Länder dürften bei ihren Entscheidungen nicht der Devise „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ Vorschub leisten. Dann hätten die „Schwächeren, die am wenigsten drängeln, am Ende das Nachsehen.“
So lange eine Knappheit an Impfstoffdosen bestehe, sei die Priorisierung für Hausärzte eine wichtige Leitlinie, um besonders gefährdete Patienten schnell auszumachen und frühzeitig zu schützen, sagte DHÄV-Chef Ulrich Weigeldt der Rheinischen Post.
Zugleich sprach er sich aber für ein der Situation angepasstes Vorgehen der Ärzte vor Ort aus. „Ein starres Festhalten, vielleicht sogar noch über Länder mit unterschiedlichem Impffortschritt hinweg, wäre sinnlos, ja sogar hinderlich.“
Flexibilität und Pragmatismus brächten die Impfkampagne bereits jetzt voran. Wenn etwa kurz vor Praxisschluss noch Impfstoff übrig sei, dann sollte dieser unabhängig von der Priorisierung noch verabreicht werden.
Weigeldts Vorstandskollegin Anke Richter-Scheer berichtete der Funke-Mediengruppe von einer zunehmend aufgeheizten Stimmung in den Impfzentren wegen immer mehr Vordränglern. „Wir erleben jeden Tag Diskussionen mit Leuten, die jetzt unbedingt schnell geimpft werden wollen, obwohl sie noch nicht an der Reihe sind. Die Stimmung wird aggressiv“, erklärte die stellvertretende Verbandsvorsitzende.
Das liege auch daran, dass die Priorisierung immer weiter ausgeweitet werde, „sodass es für viele immer weniger nachvollziehbar ist, warum der eine schneller an der Reihe sein soll als der andere.“ Hinzu komme, dass viele jetzt ihre Zweitimpfung vorziehen wollten, um so schnell wie möglich von Erleichterungen für Geimpfte zu profitieren oder sorglos in den Urlaub fahren zu können.
Johna bemängelte auch die deutlich kürzeren Intervalle zwischen Erst- und Zweitimpfung von Astrazeneca, die mit einer verminderten Schutzwirkung verbunden seien. Diese erhöhten dadurch das Ansteckungs- und Übertragungsrisiko.
„Mir scheint, dass Herr Spahn diesen Aspekt nur unzureichend berücksichtigt“, kritisierte Johna. Bund und Länder hatten kürzlich entschieden, beim Einsatz des Astrazeneca-Impfstoffs eine Verkürzung des Abstandes zwischen Erst- und Zweitimpfung auf bis zu vier Wochen zuzulassen.
„Die Verkürzung des Impfintervalls bringt keinerlei medizinischen Nutzen. Im Gegenteil: Bei dem von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfintervall von zwölf Wochen liegt die Schutzwirkung bei etwa 80 Prozent, die Wirksamkeit einer zweimaligen Impfung im Abstand von vier bis acht Wochen liegt laut Studien hingegen nur bei etwa 55 Prozent“, sagte Johna.
Durch kürzere Impfintervalle werde früher eine komplette Impfung bescheinigt, deren Schutzwirkung aber individuell schlechter sei und damit auch ein höheres Ansteckungs- und Übertragungsrisiko für die Bevölkerung birge. Zusätzlich würden die in Deutschland und weltweit dringend benötigten Impfstoffe nicht optimal eingesetzt.
Mit der Flexibilisierung von Impfabständen unter die von der STIKO empfohlene Bandbreite nehme das Bundesgesundheitsministerium eine schlechtere Impfabdeckung in Kauf. Dadurch erhöhe sich auch die Gefahr einer weiteren Infektionswelle im Herbst.
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