Corona: Kanzler sieht derzeit keinen Anlass für neue Maßnahmen

Berlin – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht trotz seit Wochen steigender Coronazahlen keinen Anlass für neuerliche Maßnahmen. „Was wir jetzt erleben, ist die ,neue' Normalität mit Corona“, sagte er den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Die heutige Situation sei „glücklicherweise völlig anders als bei Ausbruch der Coronapandemie vor dreieinhalb Jahren“.
Es werde einen angepassten Impfstoff geben, der bald zur Verfügung stehe mit der Empfehlung, „dass Ältere und vulnerable Gruppen davon Gebrauch machen“, fuhr Scholz fort. Er selbst sei vier Mal geimpft und werde sich auch noch ein fünftes Mal impfen lassen.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wies heute darauf hin, dass „Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Krankenbehandlung bei Vorliegen von COVID-19 spezifischen Symptomen eine PCR-Testung veranlassen“ können. Das gelte „unabhängig von dem Vorliegen eines positiven Antigentests“.
Die Abrechnung erfolge dann „nicht nach der Testverordnung, sondern im Rahmen der Krankenbehandlung“ zulasten der Kankenkassen. Der Anspruch auf einen PCR-Test außerhalb der Krankenbehandlung besteht seit dem 1. März 2023 nicht mehr.
Das Ministerium riet darüber hinaus heute zu Vorsichtsmaßnahmen beim Auftreten einschlägiger Symptome. Ein Ministeriumssprecher appellierte an die Menschen mit Erkältungssymptomen, „dass sie sich testen lassen, dass sie sich in Quarantäne begeben, dass sie sich isolieren und keinen Kontakt haben“.
Zugleich wies er darauf hin, dass die Infektionszahlen „derzeit noch auf einem niedrigen Sommerniveau“ lägen. Der Sprecher fügte hinzu, dass derzeit keine präzisen Informationen zu den tatsächlichen Infektionsraten vorlägen. Es werde momentan wenig getestet, und es sei davon auszugehen, dass nur wenige Fälle gemeldet und erfasst würden. Das führe dazu, „dass auf einem so niedrigen Niveau Schwankungen schwer abzubilden“ seien, sagte der Sprecher.
Die Krankenhäuser registrieren zum Ende des Sommers eine steigende Zahl von Infektionen, allerdings auf niedrigem Niveau. Es gebe wieder höhere Infektionszahlen und mehr COVID-19-positiv getestete Patienten, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der Rheinischen Post.
„Wir haben keine absolute Immunität gegen COVID-19, von daher wird es immer wieder Infektionsausbrüche geben“, erläuterte Gaß. Von einer neuen Coronawelle will der Mediziner aber nicht sprechen. Das sei alles noch auf einem so geringen Niveau, „dass wir nicht von einer Welle reden sollten“.
Für den Herbst und Winter rechnet Gaß wie in den vergangenen Jahren aber noch mit weiteren Nachholeffekten von anderen Atemwegserkrankungen. Er appellierte daher an die Menschen, sich gegen Grippe impfen zu lassen, um mögliche Belastungen für die Krankenhäuser abzuwenden. Besonders Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie Risikopatienten und ihre Angehörigen sollten ihren Impfstatus bei Corona und Influenza auf dem aktuellen Stand halten, riet Gaß.
Auch das Gesundheitsministerium in Sachsen-Anhalt rechnet in den nächsten Monaten mit mehr Atemwegserkrankungen. „Besonders im Herbst und Winter können Corona-Viren und viele andere Viren, die akute Atemwegserkrankungen verursachen, Erkrankungswellen auslösen. Daher kann auch mit einem Anstieg der Fallzahlen in diesen Jahreszeiten gerechnet werden“, teilte das Ministerium mit. Viele Viren verbreiteten sich in der kälteren Jahreszeit besser, weil die Menschen mehr Zeit in Innenräumen verbringen würden.
Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis rechnet durch Corona, Influenza und RSV mit vielen Arbeitsausfällen im Herbst und Winter. Er halte den generellen Schutz vor schweren Coronaverläufen in der Bevölkerung mit Blick auf die Impfungen und die durchgemachten Infektionen weiterhin für sehr gut, sagte er der Rheinischen Post. „Symptomatische Infektionen werden trotzdem auftreten und zusammen mit RSV und Influenza zu deutlichen Arbeitsausfällen führen“, fügte er hinzu.
Er forderte, im Herbst und Winter auf hochvulnerable Patienten und ältere Menschen durch einen individuellen Schutz vor Infektionen zu bewahren. Dies sollte aber nicht mehr in generellen Allgemeinmaßnahmen geschehen, sondern „lokal und individuell gut abgestimmt anhand des Risikoprofils“. Dies gelte für COVID-19, RSV und die Grippe.
Mit der Auslieferung eines neuen Coronaimpfstoffs rechnet der Apothekerverband im Laufe des Septembers. Biontech habe den an Omikron XBB.1.5 angepassten Impfstoff in großen Mengen vorproduziert, sagte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein, der Rheinischen Post. Nach der Zulassung könne sofort die Auslieferung an die Apotheken beginnen. Arztpraxen und Apotheken bereiteten sich auf eine große Impfkampagne im Herbst vor.
Das Verimpfen der neuen Coronaimpfstoffe werde einfacher werden. Weil die Hersteller den neuen Impfstoff in Einzeldosen anböten, seien Impftermine nicht mehr so eng getaktet und daher leichter zu bekommen. Der beste Zeitpunkt für eine Auffrischungsimpfung sei wie bei der jährlichen Grippeimpfung ab Ende September.
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck warnte unterdessen vor einer Überlastung des Gesundheitssystems im Winter. „Wir sind in den Krankenhäusern und den Arztpraxen in der Arbeit sehr am Anschlag“, sagte er der Rheinischen Post. „Wir haben einen enormen Mangel an Fachkräften.“ Angesichts der neuen Coronavariante BA.2.86 riet er aber zur Gelassenheit.
„Ich halte nichts davon, über jede Variante Furchtappelle auszustoßen“, sagte er der Zeitung. Die Grundimmunität gegen Corona gehe nicht verloren. Wer keiner Risikogruppe angehöre, müsse sich auch nicht noch einmal immunisieren.
Das Robert-Koch-Institut hatte in der vergangenen Woche berichtet, dass die Zahl der im Labor bestätigten Coronanachweise seit etwa sechs Wochen wieder steigt.
In der Woche zuvor waren es knapp 4.000 Fälle bundesweit. Das Niveau ist somit sehr niedrig, aber auch kaum mehr direkt vergleichbar mit Werten aus der Pandemie, als viel häufiger getestet wurde. Für Experten ist klar, dass es eine hohe Dunkelziffer an Infizierten gibt.
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