Vermischtes

Corona: Kritik an vollen Stadien bei Fußball-EM

  • Dienstag, 29. Juni 2021
/picture alliance, Robert Michael
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London – Angesichts der Coronalage mehren sich die Stimmen, die im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft (EM) zu mehr Vorsicht raten. Ab dem EM-Halbfinale (6. und 7. Juli) sind im Wembley-Stadion 60.000 Zuschauer erlaubt.

In der Gruppenphase und beim ersten Achtelfinale war die Zahl auf 21.500 begrenzt worden, für die Partie zwischen England und Deutschland heute sind 45.000 Fans zugelassen. Weil die Coronazahlen durch die Delta-Variante zuletzt in Großbritannien wieder stiegen, ist der Schritt umstritten.

EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas forderte von der UEFA, eine Entscheidung über ein EM-Halb­finale und EM-Finale in einem stark gefüllten Stadion in Wembley sorgfältig abzuwägen. Sie erinnerte daran, dass Großbritannien die Reisemöglichkeiten seiner Bürger einschränke und es einer „gewisse Symmetrie“ und Verhältnismäßigkeit bei diesen Entscheidungen brauche.

Vor allem in Großbritannien seien Zehntausende Fans im Stadion „unverantwortlich“, sagte Bundesin­nen­minister Horst Seehofer (CSU) der Süddeutschen Zeitung. Er appellierte an die UEFA und die britische Regierung, Zuschauerzahlen „deutlich nach unten zu korrigieren“.

Die Auslastung von 20 Prozent der Plätze in München sei „ein Maßstab, der auch für die anderen Austra­gungsorte gelten könnte, denn man muss in den Konzepten auch die An- und Abreise berück­sichtigen“, sagte Seehofer der Augsburger Allgemeinen und nannte es „unverantwortlich, wenn in Ländern, die als Virusvariantengebiet der hoch ansteckenden Delta-Mutation gelten, zigtausende Menschen auf engem Raum zusammenkommen“. Das sei auch die Auffassung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), mit der er sich dazu abgestimmt habe.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann kritisierte die Zuschauerauf­sto­ckung für das Wembley-Stadion in London und die bisherigen Bilder von vollen Stadien bei der Fußball-Europameisterschaft scharf.

„Die UEFA und der DFB müssen dringend dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Der Plan, jetzt noch mehr Leute in die Stadien zu lassen, wie in Wembley, ist unverfroren“, sagte der 73-Jährige dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Grünen-Politiker warnte eindringlich vor einer weiteren Lockerung der Coronaregeln für das Turnier.

Schon einige der bisherigen Bilder vermittelten den Eindruck, dass die Coronapandemie vorbei sei. „Das ist ein absolut falsches Signal“, sagte Kretschmann. Bei den Spielen in Ungarn oder Dänemark seien die Stadien „knallvoll“ gewesen, die Zuschauer hätten weder Abstand zueinander gehalten noch Masken ge­tragen. Dies sei „verantwortungslos“. Jedes dieser Spiele könne zum Superspreaderevent werden. „Dieser Leichtsinn macht mich fassungslos“, sagte Kretschmann.

Dass die Halbfinals und das Endspiel im von der Delta-Variante des Coronavirus' besonders betroffenen Großbritannien ausgetragen werden sollen, bezeichnete er als „eigentlich nicht zu verantworten“. Dies ginge „nur mit harter Einhaltung der Regeln und der Abstände“.

Ähnlich argumentierte der der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen. „Es besorgt mich als Ge­sundheitspolitiker und Arzt gleichermaßen, wenn trotz des rasanten Anstiegs gefährlicher Virusvari­anten an den dichtgedrängten Fußballstadien, oftmals ohne ausreichenden Abstand und Maske, festgehalten wird“, sagte der Bundestagsabgeordnete heute.

Dahmen wandte sich generell gegen den derzeitige Coronakurs der EM-Verantwortlichen. „Inzwischen sind ja sogar Nationalspieler mehrerer Mannschaften infiziert“, sagte er. „Wir machen so alles kaputt, was wir uns an niedrigen Fallzahlen aufgebaut haben.“ Der Politiker und Arzt forderte: „Fußball sollte Vorbild sein und nicht in trügerischer Sorglosigkeit selbst zum Pandemietreiber werden.“

Vor dem Hintergrund der EM und der Reisemobilität brauche es verschärfte Testregeln für Rückkehrer und eine konsequente Durchsetzung der Quarantäne, forderte Dahmen. „Sonst werden am Ende des Sommers ausgerechnet Kinder und Familien die Leidtragenden von Sorg- und Rücksichtslosigkeit sein.“

Der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU) kritisiert die Zuschauerzahlen beim EM-Achtelfinale zwischen Deutschland und England an diesem Dienstagabend als unverantwortlich. Die Coronafälle unter finnischen Fans in Sankt Petersburg zeigten, dass es im Umfeld der Spiele bei der Europameisterschaft durchaus zu zahlreichen Infektionen komme, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament heute in Brüssel.

Liese verweist auf die rasante Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus in Großbritannien. „Wenn sich alle so verhalten wie die UEFA-Verantwortlichen, werden wir nach den Sommerferien in ganz Europa wieder hohe Infektionszahlen haben“, sagte Liese, der selbst Arzt ist. Das Verhalten des Fußballverbandes sei „unerträglich“.

Der Profifußball habe seit Beginn der Pandemie sehr viele Privilegien genossen und sei damit „insgesamt nicht verantwortungsvoll genug umgegangen“, so der Politiker. Die UEFA müsse „endlich ihrer gesell­schaftli­chen Verantwortung nachkommen“ und den Gesundheitsschutz über den Kommerz stellen.

dpa/kna

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