Medizin

CRISPR/Cas9: Chemienobelpreis für Genforscherinnen Charpentier und Doudna

  • Mittwoch, 7. Oktober 2020
Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna. /picture alliance, TT NYHETSBYRAN, Henrik
Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna. /picture alliance, TT NYHETSBYRAN, Henrik

Stockholm – Der diesjährige Nobelpreis für Chemie wurde an die französische Mikrobio­login Emmanuelle Charpentier und ihre amerikanische Kollegin Jennifer Doudna verlie­hen. Die beiden Forscherinnen haben eine Abwehrstrategie von Bakterien gegen Phagen genutzt, um die menschliche DNA an bestimmten Stellen zu durchtrennen, was eine ge­zielte Editierung (nicht nur) des menschlichen Erbguts ermöglicht.

Das Verfahren kann genutzt werden, um Gendefekte bei der Sichelzellanämie oder der Beta-Thalassämie zu korrigieren. Sie kann aber auch missbraucht werden, um über Ein­griffe in der Keimbahn das menschliche Erbgut auf Dauer zu verändern und damit in die Evolution einzugreifen. Das CRISPR-Cas9-System hat neben einem großen medizinischen Potenzial auch eine erhebliche bioethische Sprengkraft.

In der Regel lässt sich das Nobelkomitee Zeit mit der Honorierung naturwissenschaftli­cher Erkenntnisse. Vor allem bei medizinisch relevanten Themen ist es häufig schwer abzuschätzen, welche Bedeutung ein Forschungsergebnis langfristig haben wird. Meist vergehen mehrere Jahrzehnte bis zum Nobelpreis. Bei den Entdeckern des Hepatitis-C-Virus, die vorgestern den Medizinnobelpreis erhielten, waren es 2 bis 3 Jahrzehnte.

Ein kurzes Intervall spricht für eine größere Bedeutung. Dies war bei Frederick Banting und John Macleod der Fall, die nur 3 Jahre nach der Entdeckung des Insulins den Medi­zin­nobelpreis erhielten. Die Idee, die zur Entwicklung der Genschere CRISPR/Cas9 führte, liegt 8 Jahre zurück.

Im Jahr 2012 berichteten Charpentier und Doudna in Science (2012; 337: 816-21), dass die Cas9-Endonuklease mit einer Leit-RNA so programmiert werden könne, dass sich da­mit jede doppelsträngige DNA-Sequenz an jeder gewünschten Stelle spalten lasse. Diese Einsicht wurde rasch zu einem Programm.

Das von den beiden Forscherinnen vorgeschlagene Verfahren wurde in den vergangenen Jahren genutzt, um das Erbgut von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen zu verändern. Die neue Technologie hat laut dem Nobelpreiskomitee einen revolutionären Einfluss auf die Biowissenschaften gehabt. Sie werde bereits benutzt um neue Krebstherapien zu ent­wicklen sie sie könnte den Traum von der Heilung von Erbkrankheiten wahr werden lassen.

CRISPR/Cas9 ist nicht der erste Geneditor. Mit Zinkfingernukleasen (ZFN) und der TALEN-Methode („Transcription activator-like effector nuclease) kann das Erbgut ebenfalls verän­dert werden. Die Verfahren sind allerdings mühsamer und fehleranfälliger und sie werden seit der Entwicklung von CRISPR/Cas9 kaum noch eingesetzt.

Anders als Banting und Macleod verfolgten Charpentier und Doudna nicht das Ziel, Krank­heiten zu heilen. Die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier führte Studien an Streptococcus pyogenes durch, Ärzten bekanntals Erreger einer Tonsillopharyngitis, aber auch von Scharlach. In einem der Bakterien entdeckte sie ein bisher unbekanntes Molekül, „tracrRNA“ (Nature, 2011; 471: 602-7).

Es stellte sich heraus, dass „tracrRNA“ Teil eines einfachen Immunsystems von Bakterien ist, das damals schon als CRISPR/Cas bezeichnet wurde. Bakterien benutzen CRISPR/Cas, um sich gegen Viren zu wehren. Viren (die bei Bakterien als Phagen bezeichnet werden) „injizieren“ ihre Gene in die Zelle und nutzen dann deren Werkzeuge, um neue Virusparti­kel herzustellen. CRISPR/Cas verhindert dies, indem es die Gene der Viren zerschneidet.

Um diese gefährlichen Fremdgene zu erkennen, haben die Bakterien im Lauf der Evolu­tion die genetische Information von Virusgenen in ihr Erbgut eingebaut. Bei einer Virus­infektion wird diese Information in Form einer „crRNA“ abgerufen.

Die „crRNA“ verbindet sich mit einem Enzym, das die DNA der Viren an einer bestimmten Stelle zerschneidet. Diese Spezifität verhindert, dass versehentlich das Erbgut des Bakte­ri­ums beschädigt wird. Die Grundzüge dieser adaptiven „Immunabwehr“ von Bakterien hatten andere Forscher einige Jahre zuvor in Science (2007; 315: 1709-12) beschrieben.

Mit dieser Entdeckung verstanden die Forscher, warum es im Erbgut vieler Einzeller merkwürdige Abschnitte mit sich wiederholender DNA gibt, die als „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“ oder CRISPR bezeichnet wurden. Aufgefallen war auch, dass sich in der Nähe der CRISPR Gene befinden, die die Information für Enzyme speichern, die eine DNA durchtrennen können und als cas-Operon bezeichnet wurden.

Als Charpentier die Brisanz ihrer Entdeckung erkannt hatte, tat sie sich noch im gleichen Jahr mit der Biochemikerin Jennifer Doudna zusammen, einer Expertin für Ribozyme. Das sind RNA-Moleküle, die wie Enzyme arbeiten.

Schon im folgenden Jahr gelang es den beiden Forscherinnen, die genauen biochemi­schen Vorgänge der Genschere zu beschreiben (Science 2012; 337: 816-21). Die Forsche­rinnen vereinfachten die Genschere, indem sie „tracrRNA“ und „crRNA“ zu einem „single-guide RNA molecule“ (sgRNA) fusionierten, was die Herstellung von individuellen Gen­scheren erheblich vereinfachte (Science 2013; 339: 823-6).

Diese Methode wurde seither von anderen Forschern aufgegriffen und für die unter­schied­lichsten Zwecke verwendet. Mit dem neuen Gentool wurden laut dem Nobelkomi­tee wichtige Entdeckungen in der Grundlagenforschung gemacht. Pflanzenforscher nut­zen es, um neue Varianten von Pflanzen zu entwickeln, die Schimmel, Schädlingen und Dürre standhalten. In der Medizin wird die Genschere benutzt, um neue Krebstherapien zu entwickeln oder genetische Erkrankungen zu kurieren.

Die Forschung verläuft derzeit so rasant, dass das von Charpentier und Doudna entwi­ckel­te Verfahren fast schon überholt ist. Die Genschere allein kann das Erbgut nicht ver­ändern. Im Prinzip ist es ein zerstörerischer Eingriff. Um eine gewünschte Veränderung zu erzielen, ist CRISPR/Cas9 auf die DNA-Reparatur angewiesen. Diese setzt die beiden Schnitt­enden wieder zusammen und verwendet dabei vielleicht die Gene, die die For­scher in die Zellen eingebracht haben.

Dies geschieht eher selten. Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, müssen die Forscher nach dem Einsatz der CRISPR/Cas9-Methode die Zellen sortieren. Dies ist bei der Stamm­zelltherapie möglich, bei der später einzelne Zellen mit der gewünschten Veränderung für die Behandlung ausgewählt werden.

Bei Manipulationen an Embryonen würde ein hoher „Ausschuss“ produziert, der für sich genommen schon eine ethische Hürde darstellt. Hinzu kommt die Frage, welche Einsatz­gebiete hier erlaubt und welche verboten werden sollten. Klare Leitlinien gibt es hier nicht. Die Anwendung an menschlichen Embryonen ist derzeit ein wissenschaftliches Tabu.

Inzwischen gibt es neuere Gen-Editoren, die gezielt einzelne Basenpaare verändern. Dies geschieht durch die Koppelung einer Deaminase an den CRISPR/Cas9-Apparat. Damit lassen sich Punktmutationen korrigieren, die einer Mehrzahl der genetischen Erkrankun­gen zugrunde liegen. Ein weiteres viel versprechendes Verfahren ist das „Prime Editing“.

Dabei ist der CRISPR/Cas9-Apparat mit einer Reversen Transkriptase ausgerüstet. Dieses Enzym könnte auch längere Genabschnitte in die von der Genschere durchtrennte DNA einfügen. Auf diese Weise könnten genetische Erkrankungen behandelt werden, die auf Deletionen, also dem Verlust von Genmaterial beruhen. Das Gen-Editing könnte in Zu­kunft noch für weitere Nobelpreise gut sein. Dass die Forscher sie so schnell erhalten werden wie die beiden Pioniere Charpentier und Doudna, ist nicht zu erwarten.

Die renommierteste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit zehn Millionen Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert – eine Million Kronen mehr als im Vorjahr. Die feier­liche Übergabe der Preise findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Seit 1901 wurde der Chemienobelpreis an 183 verschiedene Forscher vergeben. Einer von ihnen, der Brite Frederick Sanger, erhielt ihn zwei Mal. Unter den Preisträgern waren bislang fünf Frauen, etwa Marie Curie 1911, die die radioaktiven Elemente Polonium und Radium entdeckte.

Gratulationen kommen aus allen Ecken. Christopher Baum, Vorstandsvorsitzender des Berlin Institute of Health, sprach zum Beispiel von einem „Gänsehautmoment“. Es freue ihn sehr, sagte Baum, der Charpentier persönlich gut kennt. „Die Entwicklung von CRIS­PR­/Cas9 war eine echte Pionierleistung und hat das gesamte Feld der Genforschung und insbesondere der Gentherapie revolutioniert“, so Baum.

„Mit dem Nobelpreis werden in diesem Jahr bahnbrechende Erkenntnisse im Bereich der Genomforschung gewürdigt, mit denen große Hoffnungen für die Anwendung in Medizin, Biotechnologie, Tier- und Pflanzenzucht verbunden sind“, sagte Gerald Haug, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Er freue sich, dass mit Emma­nu­elle Charpentier eine herausragende Kollegin der Max-Planck-Gesellschaft geehrt werde. Charpentier ist seit 2015 Mitglied der Leopoldina in der Sektion Humangenetik und Molekulare Medizin.

Die Entdeckung von CRISPR-Cas9 sei „ein absoluter Glücksfall für die Lebenswissen­schaf­ten Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Sie habe eine Revolution in unterschiedlichen Bereichen wie Medizin, Biotechnologie oder Landwirtschaft ausgelöst. „Die Entdeckerinnen erhalten völlig zu Recht den Nobelpreis.“

Auch Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) gratulierte. Sie freue sich als For­schungsministerin, dass mit Charpentier und dem deutschen Astrophysiker Reinhard Gen­zel in diesem Jahr gleich zwei in Deutschland arbeitende Wissenschaftler einen Nobel­preis erhalten hätten. Beide Entscheidungen des Stockholmer Preis-Komitees zeigten, dass der Wissenschafts­standort Deutschland „exzellent und wettbewerbsfähig“ sei.

Vorgestern war bereits der Nobelpreis für Medizin vergeben worden. Dieser ging an Har­vey J. Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice (USA). Sie hatten maßgeblich zur Entdeckung des Hepatitis-C-Virus beigetragen.

rme/dpa/may

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