Politik

Ärzte und Wissenschaftler: Wochenlanges Koma der Gesellschaft nicht zielführend

  • Mittwoch, 28. Oktober 2020
/Feydzhet Shabanov, stock.adobe.com
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Berlin – Im weiteren Management der COVID-19-Pandemie sollten die bisherigen Evi­denz- und Erfahrungsgewinne berücksichtigt, ein breites Herunterfahren des Alltagsle­bens ver­mieden und zugleich die Akzeptanz für zielgerichtete Maßnahmen zur SARS-CoV-2-Ein­dämmung gesteigert werden.

Dafür haben sich eine Vielzahl von Ärzten und Wissen­schaft­lern in einem heute vorge­legt­en Positionspapier ausgesprochen. Ein „wochenlanges Koma“ der gesamten Gesell­schaft sei nicht zielführend und drohe bleibende Schäden für Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft anzurichten, warnte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassen­ärztli­chen Bundesvereingung (KBV).

In dem Papier, das neben der KBV von Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie der Universität Bonn, sowie Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Abteilung Arbovirologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, erarbeitet und von zahlrei­chen Berufsverbänden und Fachgesellschaften unterzeichnet wurde, werden mehrere Vorschläge als Diskussionsgrundlage unterbreitet.

Einen zentralen Punkt stellt die Fokussierung der Ressourcen auf den spezifischen Schutz der Bevölkerungsgruppen, die ein hohes Risiko für schwere COVID-19-Krankheitsverläufe haben, dar.

Wie Streeck betonte, müssten diese deutlich besser geschützt werden – dies erfolge bis­lang nicht systematisch. Dies betreffe entsprechende Vorkehrungen in Pflegeheimen und Krankenhäusern, aber auch Menschen der Risikogruppen, die zu Hause leben. Denkbar sei beispielsweise FFP2-Masken oder auch Tests zur Verfügung zu stellen, um Besuch be­komm­en zu können.

Zudem, so Streeck, sollte eine transparente Risikokommunikation mit einer „Gebotskul­tur“ verknüpft werden. Man werde womöglich noch Jahre mit dem SARS-CoV-2-Virus le­ben müssen – ein Lockdown werde zwar die Infektionszahlen nach unten drücken, lang­fristige Wirkungen seien aber nicht zu erwarten.

Gassen betonte in diesem Zusammenhang ebenfalls, es brauche „nachhaltigere Strate­gien“ als wiederholte Lockdowns. Auch Schmidt-Chanasit sprach sich dafür aus, Perspek­ti­ven aufzuzeigen. Eine reine Verbotspolitik treibe viele potenzielle Risikokontakte ins Private oder gar Illigale.

Deshalb sei es unter anderem nicht sinnvoll, kulturelle oder gastronomische Einrichtun­gen mit funktionierendem Hygienekonzept zu schließen. Diese seien, hier schloss sich Streeck ausdrücklich an, bislang nicht als Infektionstreiber aufgefallen.

Weitere Punkte des Papiers betreffen die Abkehr von der individuellen Kontaktperso­nen­nach­verfolgung durch die Gesundheitsämter sowie die Einführung eines bundesweit ein­heitlichen Ampelsystems. Dieses soll alle relevanten Kennzahlen wie Infektionszahlen, Anzahl der durchgeführten Tests, stationäre und intensivmedizinische Behandlungskapa­zitäten einbeziehen.

Die Gesundheitsämter sollen zudem eine Priorität auf Fälle mit Bezug zu medizinischen und pflegerischen Einrichtungen oder Veranstaltungen mit vielen Infizierten legen.

Sowohl Gassen als auch Streeck, Schmidt-Chanasit und KBV-Vize Stephan Hofmeister ga­ben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sich die Politik offen für die Diskussionsanregungen zeigt.

Risikogruppenadaptierte Maßnahmen ließen sich auch in sicher noch folgenden Bund-Länder-Runden aufgreifen, so Streeck mit Blick auf die heutigen Gespräche der Bundes­kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder.

aha

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