Politik

„Ein zukunftsfestes Gesundheitswesen muss patientenorientierte Angebote machen“

  • Montag, 18. September 2017

Berlin – Am 24. September ist Bundestagswahl. Das Deutsche Ärzteblatt hat die gesundheits­politischen Sprecher der Parteien, Länderminister, Verbände und Ärzte aus der Patienten­versorgung befragt, wie es mit der Gesundheitspolitik in der kommenden Legislatur weitergehen sollte.

Martin Litsch /AOK Bundesverband
Martin Litsch /AOK Bundesverband

Fünf Fragen an Martin Litsch, Vorstands­vorsitzender des AOK-Bundesverbandes

DÄ: Welches gesundheitspolitische Thema muss in der nächsten Legislaturperiode als erstes angegangen werden? Warum?
Martin Litsch: Niedergelassene Ärzte auf der einen Seite, Kliniken auf der anderen – und dazwischen der Patient. Das deutsche Gesundheitswesen ist sehr stark in Sekto­ren aufgeteilt, durch die es immer wieder zu Brüchen in der Versorgung der Patienten kommt. Das ist schlecht für die Qualität der Versorgung und führt zu ineffizienter Mittelverwendung. Derzeit wird das beispielsweise bei der Notfallversorgung deutlich, für die gerade verschiedene Neuansätze diskutiert werden. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie wollen die Sektoren stärker vereinen oder die Sektorengrenzen sogar ganz aufheben. Das wäre ein großer Schritt hin zu mehr Versorgungsqualität in Deutschland.

DÄ: Welche Partei beziehungsweise welches Parteienbündnis bietet aus Ihrer Sicht die besten Lösungen für die zukünftigen Probleme des Gesundheitssystems? Warum?
Litsch: Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz wurde von einem FDP-Gesundheits­minister umgesetzt, die Einführung des Morbi-RSA einst in einem SPD-geführten Bundesgesundheitsministerium. Den Einstieg in einen qualitätsbasierten Umbau der Krankenhauslandschaft hat ein CDU-Minister gemacht. Bei gesundheitspolitisch relevanten Entscheidungen sind sachliche Notwendigkeiten offensichtlich wichtiger als die Parteizugehörigkeit. Insofern bin ich überzeugt, dass egal welche Partei oder welches Bündnis die Regierung stellt, sie Lösungen findet, um das Gesundheitswesen voranzubringen.

DÄ: Welche aktuellen Positionen der Parteien gefährden die Versorgungsqualität im deutschen Gesundheitssystem?
Litsch: Neben der mangelnden Umsetzungskraft zur Überwindung von Sektoren­grenzen ist es die zögerliche Digitalisierung. Zehn Jahre und weit über eine Milliarde Euro später haben wir noch immer eine Gesundheitskarte, die genauso viel – oder besser – genauso wenig kann wie die alte Magnetstreifenkarte. Aber: Mit Bild. Damit können die Patienten und Versicherten nichts anfangen. Was sie stattdessen benötigen und sich wünschen sind digitale Lösungen, um beispielsweise Informationen über Medikamente oder Diagnosen zwischen verschiedenen Akteuren des Gesundheits­wesens austauschen zu können.

Im Verbund der Gemeinsamen Selbstverwaltung wird es diese Lösung offensichtlich nicht zeitnah geben. Deshalb sollten die verschiedenen Akteure nicht länger an die komplexen Entscheidungsstrukturen in der Telematik gebunden sein, sondern dezentrale Lösungen umsetzen. Zentrale Vorgaben sollte es nur für die Rahmenbedingungen beispielsweise zu Datensicherheit, Mindeststandards und Interoperabilität geben. Ein zukunftsfestes Gesundheitswesen muss endlich patientenorientierte Angebote machen.

DÄ: Wie müssten die Rahmenbedingungen für die Krankenkassen verbessert werden?
Litsch: Wir erleben zur Zeit eine sehr intensive und in Teilen aggressive Diskussion um den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich. Da werden Fakten erfunden und Tatsachen verdreht. Doch der Finanzausgleich ist heute die beste Grundlage für einen funktionierenden Wettbewerb um die beste Versorgung. Seine Aufgabe ist es nicht, einzelne Kassen oder Kassenarten finanziell abzusichern, sondern er beschützt die Versicherten vor Risikoselektion. Die Bundesregierung schafft mit zwei Sonder­gutachten eine valide Basis, um den Finanzausgleich in diesem Sinne zielorientiert weiterzuentwickeln. Das ist der richtige Weg.

DÄ: Was wollen Sie für Ihre Mitglieder in der kommenden Legislaturperiode erreichen?
Litsch: Für unsere Versicherten möchten wir die bestmögliche Behandlungsqualität schaffen und dabei die Beiträge stabil halten. Diese Ziele lassen sich beispielsweise mit direkten Verträgen zwischen Krankenkassen und Leistungsanbietern erreichen. Sie sollten deshalb eine gleichwertige Alternative zur kollektiven Regelversorgung sein. Leider wurden in der vergangenen Legislaturperiode die selektivvertraglichen Möglich­keiten für die gesetzliche Krankenversicherung begrenzt. Um den Wettbewerb im Gesundheitswesen stärker auf die Versorgungsqualität ausrichten zu können, fordern wir von der nächsten Bundesregierung wieder mehr Verhandlungsfreiheiten.

may

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung