Darmflora von MS-Patienten kann MS-ähnliche Krankheit im Tiermodell auslösen
München/San Franzisko/Münster – Seit einigen Jahren stehen Bakterien der natürlichen Darmflora unter Verdacht, bei entsprechender genetischer Disposition eine Multiple Sklerose (MS) auslösen zu können. Eine internationale Arbeitsgruppe um Hartmut Wekerle und Gurumoorthy Krishnamoorthy von den Max-Planck-Instituten (MPI) für Neurobiologie und für Biochemie konnte nun zeigen, dass die Darmflora an MS erkrankter Patienten eine MS-ähnliche Krankheit im Tiermodell auslösen kann. Die Arbeit ist den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen (2017; doi: 10.1073/pnas.1711233114).
Potenziell autoaggressive T-Zellen hat jeder Mensch, doch sind die Zellen in der Regel lebenslang inaktiv. Bei manchen Menschen wird jedoch das pathogene Potenzial dieser Zellen geweckt – es kommt zum Ausbruch der MS. Den Grund für diese Aktivierung vermuten Wissenschaftler in einer Kombination aus Genetik und Umweltfaktoren. „Wir kennen mittlerweile mehr als 200 Gene, die den Menschen für eine MS-Erkrankung empfänglich machen“, erklärte Wekerle. Damit es zum Ausbruch komme, brauche es jedoch einen Auslöser.
Die Grundidee der Studie war der Vergleich der Darmflora eineiiger Zwillingspaare. In seltenen Fällen haben MS-Patienten eineiige Zwillingsgeschwister, wobei in den meisten dieser Fälle nur ein Zwilling an MS erkrankt, während der andere gesund ist. Dies ist ein Hinweis dafür, dass bei der MS-Entstehung andere als nur genetische Faktoren wirksam sind.
Im Rahmen des Kooperationsprojekts rekrutierten Lisa Ann Gerdes, Reinhard Hohlfeld und ihre Kollegen vom Institut für Klinische Neuroimmunologie der Universität München deutschlandweit eine Kohorte von mittlerweile mehr als 50 eineiigen Zwillingspaaren, bei denen jeweils ein Zwilling an MS erkrankt ist. Bei ihnen wollten die Forscher MS-relevante Unterschiede der Darmflora aufdecken.
Unter anderem impften sie dazu genetisch veränderte Mäuse mit den jeweiligen menschlichen Mikrobiomen. Tiere, die Darmfloraproben der MS-kranken Zwillinge bekamen, erkrankten zu fast hundert Prozent an der MS-ähnlichen Hirnentzündung. Die Untersuchungen bestätigten damit laut Arbeitsgruppe, dass Bestandteile der Darmflora von MS-Patienten eine funktionelle Rolle bei der T-Zellaktivierung spielen und somit ein Auslöser für die MS beim Menschen sein könnten.
„Nun kommt es darauf an, die in Frage kommenden Mikroorganismen weiter einzugrenzen und zu untersuchen“, so Wekerle. Es sei allerdings offen, ob und welche Diagnose- und Therapieverfahren daraus entstehen könnten, betonte er.
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