Vermischtes

„Das Mitbringen eines Kindes ist nur in nicht-sensiblen Bereichen unbedenklich“

  • Montag, 8. Dezember 2025

Berlin/Graz – Hat die zwölfjährige Tochter einer Neurochirurgin bei einer Notoperation den Schädel eines Patienten aufgebohrt? Diese Frage muss gerade ein Gericht in Graz klären. Ein Urteil in dem Prozess um Körperverletzung wird am kommenden Mittwoch, den 10. Dezember 2025, erwartet.

Ihre Tochter habe sie in die Klinik begleitet, um dort Englischvokabeln zu lernen, berichtete die 48-jährige Ärztin am ersten Prozesstag Mitte Oktober. Mit ihr ist ein weiterer Chirurg angeklagt, der an dem Eingriff, der komplikationslos und ohne negative Folgewirkungen verlief, beteiligt war.

Das Mädchen habe zunächst bei der Operation zusehen dürfen, sagte die Mutter vor Gericht. Gegen Ende habe sie darum gebeten, mitzuhelfen. Laut Anklage hat die Zwölfjährige dann „selbstständig ein Loch in die zuvor bereits freigelegte Schädeldecke eines Patienten gebohrt“, wie es in einer Mitteilung des Gerichts heißt. Der 35-jährige Mitangeklagte räumte zwar ein, dass das Mädchen ihre Hand auf das Bohrgerät oder auf seine Hand legte. Doch er habe das Gerät bedient und immer die volle Kontrolle gehabt.

Sicherlich ist dieser Fall extrem. Doch dass Kinder ihre Eltern auch mal am Arbeitsplatz besuchen, ist an sich relativ üblich. Wie sieht das bei Ärztinnen und Ärzten aus? Dürfen sie ihre Kinder mit in die Praxis, den Behandlungsraum oder in den OP nehmen? Was ist erlaubt und was nicht?

Bernd Halbe /Claudia Ast
Bernd Halbe /Claudia Ast

5 Fragen an Bernd Halbe, Fachanwalt für Medizinrecht in Köln

Was ist zu beachten, wenn man sein Kind mit in die Praxis oder in die Klinik nimmt?
Grundsätzlich gilt: Kinder von Ärztinnen oder Ärzten besitzen kein besonderes Privileg gegenüber anderen Dritten. Sie dürfen also nicht ohne rechtfertigenden Grund oder ohne Zustimmung der Patientinnen oder Patienten an medizinischen Behandlungen teilnehmen oder anwesend sein.

Ein Arzt hat gegenüber den behandelten Personen eine Aufklärungspflicht über alle Umstände, die für die Behandlung relevant sind. Dazu zählt auch die Anwesenheit Dritter im Operations- oder Untersuchungsraum. Patienten müssen also vorab über die Anwesenheit des Kindes informiert und deren Einverständnis ausdrücklich eingeholt werden. Ohne diese Einwilligung ist die Anwesenheit unzulässig. Berufsrechtlich ergibt sich dies aus Paragraf 7 Abs. 5 (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä).

Darüber hinaus gebieten der Schutz der Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das insbesondere bei Eingriffen im Scham- oder Intimbereich ausschließlich Personen anwesend sein dürfen, die unmittelbar an der Behandlung beteiligt sind – also behandelnde Ärzte sowie das erforderliche medizinische Fachpersonal. Die Anwesenheit anderer Personen ist nur dann erlaubt, wenn ein rechtfertigender Grund besteht. Die bloße Anwesenheit einer Person ohne funktionale Notwendigkeit verletzt die Intimsphäre des Patienten und degradiert diese oder diesen zum Anschauungsobjekt.

Weiterhin ist zu beachten, dass durch die Anwesenheit Dritter ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht (Paragraph 9 MBO-Ä) vorliegen kann. Schon die Möglichkeit, dass eine unbefugte Person Einblick in die Identität oder Krankengeschichte eines Patienten erhält, genügt für eine Verletzung dieser Pflicht – unabhängig davon, ob tatsächlich Informationen wahrgenommen oder weitergegeben wurden.

Das Mitbringen eines Kindes in die Praxis oder Klinik ist also nur in nicht-sensiblen Bereichen und ohne Patientenkontakt unbedenklich.

Gibt es Ausnahmen davon?
Ausnahmen bestehen nur in eng begrenzten Fällen: Der Patient wurde vorab aufgeklärt und hat der Anwesenheit des Kindes ausdrücklich zugestimmt, wobei die Anwesenheit medizinisch unbedenklich sein muss.

Gab es früher schon Prozesse zu ähnlichen Fällen wie dem in Graz?
Ja. Gemeinsam ist ihnen, dass im OP unbefugte Personen anwesend waren oder aktiv beteiligt wurden. Solche Vorfälle beschränken sich nicht nur auf den strafrechtlichen Bereich, sondern spielen auch im arbeitsrechtlichen Kontext eine Rolle. Dabei können neben Kindern ebenso Erwachsene betroffen sein.

In einem Fall ließ ein Chefarzt beispielsweise seinen 90-jährigen Vater ohne Wissen und Zustimmung der Patientin während einer Gallenblasenentfernung im OP-Saal anwesend sein. Er wollte dessen „irrationale Bedenken“ vor einer Kniegelenksspiegelung entkräften. Die Patientin war unter anderem in Seitenschnittlage mit leicht gespreizten Beinen auf dem Operationstisch positioniert, Teile ihres Körpers waren entblößt. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Chefarztes.

Das Gericht betonte, dass die Anwesenheit des Vaters im OP-Saal ohne Wissen und Zustimmung der Patientin eine erhebliche Pflichtverletzung aus dem Arbeitsvertrag darstellt, der auch auf das Berufsrecht Bezug nimmt. Die Intimsphäre der Patientin wurde verletzt und es bestand die Gefahr einer Beeinträchtigung der ärztlichen Schweigepflicht.

Was für ein Strafmaß ist in solchen Fällen zu erwarten?
Nicht in jedem Fall, in dem unbefugte Personen im Operationssaal anwesend sind, liegt zugleich eine strafrechtlich relevante Handlung des behandelnden Arztes vor; in den meisten Fällen entfaltet ein solches Verhalten lediglich berufsrechtliche und/oder arbeitsrechtliche Relevanz. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen kommt immer dann in Betracht, wenn Unbefugte Einblick in Patientendaten oder den Behandlungsablauf erhalten können.

Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des behandelnden Arztes wegen Körperverletzung ist differenziert zu betrachten: Bei bloßer Anwesenheit eines Unbefugten (ohne aktive Beteiligung) ist eine Strafbarkeit nur dann gegeben, wenn nachweisbar ist, dass durch die Person gesundheitsschädliche Keime oder andere Einwirkungen auf den Patienten übertragen wurden, die zu einer Beeinträchtigung seiner Gesundheit führen. Bei aktiver Beteiligung eines Unbefugten an der Behandlung ist stets von einer strafbaren Körperverletzung auszugehen, auch wenn keine Gesundheitsschädigung eintritt.

In Deutschland richtet sich das Strafmaß nach dem Schweregrad der Körperverletzung. Bei einfacher Körperverletzung kann eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden. Wird Operationsbesteck oder anderes potenziell gefährliches Instrumentarium verwendet, kann eine gefährliche Körperverletzung vorliegen, die mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet wird. In minder schweren Fällen liegt das Strafmaß zwischen drei Monaten und fünf Jahren.

Welche Relevanz kann das Mitnehmen eines Kindes über das Strafrecht hinaus haben?
Arbeitsrechtlich kann ein solches Verhalten – insbesondere bei Anwesenheit oder Beteiligung des Kindes während einer Behandlung oder Operation – als schwerwiegende Pflichtverletzung gewertet werden und bis hin zur ordentlichen oder sogar außerordentlichen Kündigung führen. Berufsrechtlich kann das Verhalten einen Verstoß gegen die ärztlichen Berufspflichten darstellen und im Einzelfall berufsaufsichtsrechtliche Maßnahmen bis hin zum Widerruf der Approbation nach sich ziehen.

Patientenrechtlich kann die unbefugte Anwesenheit eines Kindes Haftungsansprüche und Schadensersatzforderungen begründen, etwa wegen einer Verletzung der ärztlichen Aufklärungs- oder Schweigepflicht oder aufgrund einer Beeinträchtigung der Intimsphäre.

fri/nfs

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