Debatte über Aufhebung von Coronaisolations- und Quarantänepflichten

Berlin – Deutschland diskutiert mitten in der Coronasommerwelle über die Abschaffung aller Isolations- und Quarantänepflichten für Coronainfizierte. Die Debatte angestoßen hat der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. Der Vorstoß blieb nicht ohne Widerspruch, fand aber auch Unterstützer.
Das eigentliche Problem sieht Gassen nicht in den vielen Infektionen, sondern darin, dass positiv Getestete auch ohne Symptome mehrere Tage zu Hause bleiben müssen, wie er der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte.„Dadurch entstehen die Personalengpässe in den Kliniken und anderswo.“ Man müsse zurück zur Normalität. „Wer krank ist, bleibt zu Hause. Wer sich gesund fühlt, geht zur Arbeit. So halten wir es mit anderen Infektionskrankheiten wie der Grippe auch.“
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, wies ebenfalls auf Probleme im Zusammenhang mit der Isolationspflicht hin. „Die Belastung steigt stetig, der deutliche Mehraufwand durch die Pflicht zur Isolation nimmt zu“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe – ohne jedoch ein Abrücken von den derzeitigen Vorgaben zu fordern. Wegen des Ausfalls von Mitarbeitern müssten in zahlreichen Krankenhäusern planbare Operationen verschoben und zeitweise ganze Bereiche abgemeldet werden.
Aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) hieß es, aktuell würde eine weitere Verkürzung der Fristen zu den Möglichkeiten der Freitestung „keinen Sinn“ machen. Mit den geltenden Empfehlungen sei im Frühjahr bereits auf sich verschärfende Personalsituationen reagiert worden, hieß es weiter. Derzeit gilt für die allgemeine Bevölkerung, dass die vorgeschriebene Isolation für Coronainfizierte nach fünf Tagen enden kann – mit einem „dringend empfohlenen“ negativen Test zum Abschluss.
„Infizierte müssen zu Hause bleiben. Sonst steigen nicht nur die Fallzahlen noch mehr, sondern der Arbeitsplatz selbst wird zum Sicherheitsrisiko“, schrieb Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestern auf Twitter.
Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kritisierte, der Vorschlag komme zur Unzeit. Angesichts der „hochdynamischen Infektionslage“ sollte man genau überlegen, ob es Sinn mache, die Regeln zur Isolation zu lockern, warnte er. „Im Herbst erwarten wir einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen. Niemand weiß, welche Virusvariante dann vorherrschen wird“, teilte Holetschek mit.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warf Gassen „Opportunismus“ vor. „Die Isolation schützt. Denn so wird verhindert, dass sich andere anstecken.“ Er verwies auf Long und Post COVID – also Beschwerden noch nach mindestens vier und mindestens zwölf Wochen nach der Infektion.
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte der Rheinischen Post: „Die Aufhebung von Quarantäneregeln aus Arbeitsmarktgründen ist aus ärztlicher Sicht nicht zu vertreten. Unsere Aufgabe ist es, Menschen vor Krankheit, Leid und Tod zu bewahren.“
Der Vorsitzende des deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, hat sich gegen eine Änderung der bestehenden Isolations- und Quarantäneregeln bei Corona ausgesprochen. „Meiner Ansicht nach sollten wir bei den aktuellen, vernünftigen Regeln bleiben, die ja bereits die Isolationsdauer auf fünf Tage verkürzt haben“, sagte Weigeldt der Welt.
Wer einen positiven Test habe, solle einige Tage zu Hause bleiben, auch wenn er sich ganz gut fühle. Dies gelte natürlich umso mehr, wenn jemand im medizinischen Bereich arbeite, sagte Weigeldt weiter. So würden weitere Ansteckungen vermieden.
Die FDP unterstützt Gassen und wendet sich damit gegen Lauterbach. „Herr Gassen stößt mit seinem Vorschlag zur Aufhebung der Isolationspflicht eine wichtige Debatte an“, sagte die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus den RND-Zeitungen. „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben.“ Durch Impfungen seien viele Menschen vor schweren Verläufen geschützt.
„Die Ärztinnen und Ärzte sollten unter medizinischen Gesichtspunkten individuell entscheiden, ob und wie lange Krankschreibung und Isolation notwendig sind“, sagte die FDP-Politikerin weiter. „Eine staatlich angeordnete Isolation ist bei einem symptomfreien Verlauf unverhältnismäßig.“ Weiter sagte Aschenberg-Dugnus: „Wer Fieber und Symptome hat, der bleibt zu Hause. Das gilt nicht nur für Corona, sondern auch für Erkrankungen wie die Grippe.“
Der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann gab Gassen recht. „Dies ist ein lösungsorientierter Ansatz, um einen klügeren und individuellen Umgang mit Coronainfektionen zu ermöglichen“, teilte er mit. „Die Isolierungsdauer von Patienten mit COVID-19 sollte nicht mehr von staatlicher Seite fixiert sein. So können wir zu einer gewissen Normalität und Unaufgeregtheit zurückkehren.“ Die Isolationsdauer sollte nach Ullmanns Worten künftig eine medizinische und individuelle Entscheidung sein.
Zwischen dem Bundesgesundheits- und Bundesjustizministerium laufen derzeit Gespräche über die Corona-Maßnahmen, die künftig im Kampf gegen die Pandemie möglich sein sollen. Im September läuft die Rechtsgrundlage für die inzwischen stark eingeschränkten Regeln aus.
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