Debatte über weitere Lockerungen hält an

Berlin - Die Diskussion über weitere Lockerungen der Maßnahmen in der Coronakrise geht auch nach den Appellen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und von Virologen unvermindert weiter.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) strebt im Mai weitere Lockerungen an: Bund und Länder sollten sich bei ihrem nächsten Treffen am 30. April darauf einigen, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zwar wisse man dann noch nicht, wie sich bisherige Lockerungen auswirkten. „Ich glaube trotzdem, dass man noch einmal über ein paar weitere Maßnahmen nachdenken muss“, sagte Laschet.
Der Ministerpräsident nannte Sportangebote für Jugendliche. „Wenn die Jugendlichen jetzt alle in Shoppingmalls gehen oder sich in Parks treffen, statt auf den Sportplatz zu gehen, ist das ja auch nicht Sinn der Sache“, sagte er. Weitere Öffnungen müssten auch Kindertagesstätten, Spielplätze und Schulen betreffen. Laschet kritisierte, dass die Lebenswirklichkeit vieler Kinder durch die Krise aus dem Blick geraten sei.
Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte bereits eine vorsichtige Öffnung von Spielplätzen – besonders in Städten – ins Gespräch gebracht. Alle Kinder bräuchten Bewegung und freies Spiel, hatte sie argumentiert. Das Deutsche Kinderhilfswerk schloss sich dem an. Denkbar sei, zunächst mit Spielplätzen ab einer bestimmten Quadratmeterzahl zu beginnen, schlug das Hilfswerk vor.
Giffey forderte zudem, über weitergehende Öffnungen von Schulen und Kitas nachzudenken. „Wir müssen auch darüber reden, wie wir zu einer schrittweisen, zu einer stufenweisen Öffnung von Kitas und Schulen kommen können“, sagte die SPD-Politikerin im RTL-„Frühstart“. Lange Schließungen seien nicht möglich. „Es ist nicht so, dass das bis zum Sommer einfach alles zu bleiben kann.“
Noch vorgestern hatte Kanzlerin Merkel eindringlich dazu aufgerufen, bei der Einhaltung der Regeln zur Eindämmung der Coronapandemie nicht nachzulassen. In einer CDU-Präsidiumskonferenz hatte sie kritisch von „Öffnungsdiskussionsorgien“ in einigen Ländern gesprochen. Zu Wochenbeginn waren die ersten Lockerungen in Kraft getreten. Geschäfte mit einer Fläche bis 800 Quadratmeter dürfen seitdem in vielen Bundesländern wieder öffnen.
Um die Epidemie abflauen zu lassen, streben Experten und Politik eine Reproduktionszahl von unter 1 an – das bedeutet, dass ein Mensch weniger als einen anderen Menschen ansteckt. Vergangene Woche lag der Wert bereits einmal bei 0,7, gestern gab das Robert-Koch-Institut ihn in seinem täglichen Lagebericht mit 0,9 an.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mahnte mit Blick auf Geschäftsöffnungen zu einem behutsamen Vorgehen. „Wir müssen mit Augenmaß vorgehen, wenn wir Geschäftsöffnungen und Gesundheitsschutz miteinander in Einklang bringen wollen. Vom Erfolg dieser Öffnungen ist abhängig, in welchen weiteren Schritten weitere Lockerungsentscheidungen möglich sind“, sagte der CDU-Politiker der Passauer Neuen Presse. Das müsse abgestimmt durch die Ministerpräsidenten erfolgen. Ein Flickenteppich sei zu vermeiden.
Wie Laschet machen auch andere Unionspolitiker Druck für weitere Lockerungen. So forderte der hessische Abgeordnete Klaus-Peter Willsch in einer Videoschalte der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten nach Angaben von Teilnehmern, dringend über Strategien der Wiederöffnung zu reden.
Den Menschen müsse die Perspektive gegeben werden, dass sich die Politik intensiv damit befasse, wie man wieder in einen Normalzustand komme. Der baden-württembergische Abgeordnete Axel Fischer betonte, es häuften sich die Berichte von Existenznöten der Bürger und der Wirtschaft. Die Beschränkungen hätten katastrophale Auswirkungen − diese Probleme dürften nicht vom Tisch gewischt werden.
FDP-Chef Christian Lindner forderte von Bund und Ländern, die Wirkung der Schutzmaßnahmen im Wochentakt zu überprüfen − und nicht wie bisher nur alle zwei Wochen im Rhythmus der Inkubations- und Testauswertungszeit. „Wir müssen immer wieder prüfen, ob sie durch mildere Mittel ersetzt werden können. Wir müssen dies auch zügig tun
– im Wochen − statt im Zweiwochenrhythmus“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte unterdessen eine fortlaufende Überprüfung der Restriktionen in der Coronakrise zu. „Keine Einschränkung unserer grundlegenden Freiheiten darf einschneidender sein oder länger dauern, als es unbedingt zum Schutz des Lebens und der Gesundheit erforderlich ist“, erklärte Lambrecht den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Je länger die Beschränkungen andauerten, desto ausführlicher und gründlicher müssten sie begründet sein: „Nur so können wir in der Bevölkerung Akzeptanz für unsere Entscheidungen finden“, betonte die Justizministerin.
Einen Schaden für die Demokratie durch die monatelange Einschränkung fundamentaler Freiheitsrechte fürchtet Lambrecht aber nicht: „Unsere Demokratie zeigt in dieser noch nie dagewesenen Bewährungsprobe doch gerade, wie stark und krisenfest sie ist.“ Das Infektionsschutzgesetz sei vom Bundestag beschlossen worden und bilde die rechtliche Grundlage aller Einschränkungen. Bundesregierung und Landesregierungen müssten sich für ihr Handeln im Bundestag, in den Landesparlamenten und auch öffentlich verantworten.
Außerdem würden die Einschränkungen des öffentlichen Lebens gerichtlich kontrolliert, betonte die Ministerin. „Eine ganze Reihe von Gerichtsentscheidungen zu Gottesdiensten, Demonstrationen und Ladenöffnungen hat es allein in den vergangenen Tagen gegeben. Ich finde, dass wir diese schwere Krise als demokratischer Rechtsstaat bisher sehr gut bestehen“, sagte sie.
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