Deutsches Gesundheitssystem finanziell ineffizient

Berlin – Das deutsche Gesundheitssystem ist teurer als das der meisten EU-Länder. Trotz hoher Kosten, die nur von Norwegen übertroffen werden, erreicht Deutschland lediglich durchschnittliche Gesundheitsergebnisse, zeigt der kürzlich bei der Vertretung der EU-Kommission in Berlin vorgestellte Bericht „State of Health in the EU: Gesundheitssysteme in Deutschland und der EU“.
Dieser beschreibt allgemeine Gesundheitstrends und vergleicht die Systeme der 28 Mitgliedsstaaten sowie von Norwegen und Island. Die Analyse macht deutlich, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Deutschen (81,1 Jahre) unter der der meisten westeuropäischen Länder liegt. Spitzenreiter ist Spanien mit 83,4 Jahren, gefolgt von Italien (83,1), Frankreich und Norwegen (beide 82,7).
Dieser Unterschied werde maßgeblich von ausgeprägtem Risikoverhalten beeinflusst. Obwohl der Anteil der Raucher unter dem anderer Länder liege, sei das Rauschtrinken unter deutschen Erwachsenen deutlich häufiger (33 Prozent) als im EU-Schnitt (20 Prozent). Das Risikoverhalten sei unter anderem mit dem ökonomischen Status der Menschen verknüpft und führe zu einer im EU-Vergleich breite einkommensabhängige Schere des Gesundheitszustands.
Der Bericht listet auch die durch Prävention vermeidbaren Todesursachen auf. Die Zahl der Todesfälle dieser Ursachen blieb in Deutschland seit 2011 stabil, während sie in vielen anderen EU-Ländern gesenkt werden konnten. „Im Jahr 2016 hätte Deutschland 158 Todesfälle pro 100.000 Einwohner durch wirksame Maßnahmen verhindern können. Dies ist gleichauf mit dem EU-Durchschnitt von 161 vermeidbaren Todesfällen pro 100.000 Einwohner“, heißt es in dem Bericht. Insbesondere ischämische Herzerkrankungen haben in Deutschland weiterhin eine deutlich größere Bedeutung als in südlicheren EU-Ländern wie Spanien oder Italien.
Für 2016 zählt der Bericht in Deutschland 87 sogenannter behandelbarer Todesursachen, die durch rechtzeitige und wirksame Maßnahmen vermeidbar wären. Auch hier liegt Deutschland im EU-Schnitt (93 behandelbare Todesursachen). Allerdings ist diese Rate in fast allen anderen westeuropäischen Ländern niedriger, beispielsweise Island und Norwegen mit 62, Frankreich mit 63 dieser Todesursachen wie zum Beispiel eine Lungenentzündung.
Vermeidbare Krankenhausaufenthalte
Gleichzeitig zeigt der Bericht, dass Deutschland mehr Ärzte pro Einwohner hat als der EU-Durchschnitt: 4,3 pro 1.000 Einwohner in Deutschland, im Vergleich zu 3,6 pro 1.000 Einwohner im EU-Schnitt. Auch gibt es mit zwölf Pflegekräften pro 1.000 Einwohner deutlich mehr als in den europäischen Nachbarländern (8,5 Pflegekräfte pro 1.000 Einwohner).
Besonders die Zahl derer, die im Krankenhaus arbeiten, sei seit der Einführung des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems (DRG) im Jahr 2004 gestiegen. Parallel dazu gibt es einen Rückgang bei der Zahl der Pflegekräfte. Auch in der ambulanten Versorgung gebe es mehr Ärzte, jedoch mit einem seit der Jahrtausendwende fallenden Anteil der Allgemeinmediziner (25 Prozent unter dem EU-Durchschnitt im Jahr 2016).
Deutsche Krankenhäuser haben zudem seit Jahren die EU-weit höchste Zahl an Betten pro Einwohner und somit weniger Personal pro Bett, so der Bericht weiter. Dies liegt bei acht Betten pro 1. 000 Einwohner im Jahr 2017 in Deutschland, im EU-weiten Schnitt waren es fünf Betten pro 1.000 Einwohner.
Die Krankenhausbetten seien stabil zu rund 80 Prozent ausgelastet und auch die Liegedauer in Deutschland ist laut den Statistiken einen Tag länger als der Druchschnitt. Die Anzahl der Betten werde jährlich reduziert. Dieser Trend wäre auch vor der Einführung der Fallpauschalen bereits in Gang gewesen, kommentierte Wilm Quentin, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin.
Vermeidbare Krankenhausaufnahmen sind in Deutschland häufiger als in den meisten anderen EU-Ländern, zeigt der Bericht. Die Zahl der Krankenhausentlassungen stieg zudem zwischen den Jahren 2000 und 2016 um 14 Prozentpunkte an – entgegen dem europäischen Trend. Inwieweit diese Entwicklungen mit dem DRG-System zusammenhängen, sei kein Teil dieses Reports, heißt es aus der EU-Kommission.
Europäische Trends und Effizienzsteigerung
Impfskepsis sowie bezahlbare und nachhaltige Medikamentenversorgung wurden als EU-weite Trends genannt, welche die deutsche Politik aber bereits angehen würde. Die Verteilung von Kompetenzen hin zu den Pflegeberufen werde dagegen bisher nicht bundesweit umgesetzt, so der Bericht.
Darüber hinaus brauche es gezielte Aufsicht und Steuerung bei der Digitalisierung. Auch fordern die Wissenschaftler mehr Daten über den Zugang zur Gesundheitsversorgung, da es keine systematische und integrierte Bewertung in den verschiedenen Sektoren des Gesundheitswesens gebe. Die Selbstverwaltungsorgane würden zwar fundierte Entscheidungen gewährleisten, jedoch der fragmentierten Struktur Vorschub geben.
Die Wissenschaftler sehen finanzielle Herausforderungen zukünftig vor allem beim alternden Personal sowie in der Finanzierung der Langzeitpflege. Es gäbe noch Raum für Effizienzsteigerungen, insbesondere durch eine Verschiebung bisher stationärer Leistungen in den ambulanten Sektor und Kosteneinsparungen beim Einkauf von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Auch folgerten die Autoren, dass durch weitere Stärkung der Gesundheitsförderung und Präventionsarbeit Deutschland die Wirksamkeit seines Gesundheitssystems steigern könne.
Die Länderprofile zu den Gesundheitssystemen der EU-Mitgliedsstaaten werden zweijährlich herausgegeben und entstehen aus der Zusammenarbeit der OECD, der Organisation für Ökonomische Co-operation und Entwicklung, und der Europäischen Warte für Gesundheitssysteme und –strategien (European Observatory on Health Systems and Policies). Die Berichte sollen neutrale vergleichende Informationen liefern und so zum länderübergreifenden Austausch beitragen, heißt es aus der EU-Kommission.
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