Vom Arztdasein in Amerika

Die Fettepidemie

  • Mittwoch, 9. November 2011

Auf den meisten Arztkonferenzen in den USA wird derzeit davon gesprochen: Die Adipostiasepidemie ist im vollen Gange. Es kursieren neben erschreckenden Morbiditätsdaten auch Karten der 50 US-Bundestaaten, die die massive Zunahme der Adipositas aufzeigt; in zwölf Bundesstaaten sind mittlerweile mehr als 30% der Bevölkerung übergewichtig. Siehe dazu http://www.cdc.gov/obesity/data/trends.html

Auch die Ärzteschaft in Minnesota, einem Staat in dem zurzeit „nur“ knapp ein Viertel der Bevölkerung einen Köpermassenindex (KMI) jenseits der 30 besitzen, sucht händeringend nach Abhilfe. So werden zum Beispiel unzählige Krankenversicherungsprogramme aufgelegt, um die Menschen zu animieren, mehr Sport zu treiben (siehe meinen Beitrag “Kampf gegen Adipositas: Operation, Medikamente oder Sport?”).

Schulen und öffentliche Einrichtungen ändern ihr Kantinenessen, gesunde Ernährung wird staatlich propagiert, diverse Werbekampagnen gestartet und staatliche Programme wie zum Beispiel ein Übergewichtsfünfjahresplan 2008-2013 werden aufgelegt. (http://www.health.state.mn.us/divs/hpcd/chp/cdrr/obesity/obesityplan/obesityplan.html).

Seit neuestem kursiert eine neue Idee in der Ärzteschaft: Die Umsiedlung von „Personen aus Hochrisikogruppen“, d.h. vor allem Arme und Minderheiten. Denn ein Artikel im „New England Journal of Medicine“ von Jens Ludwig und Kollegen (Ludwig J et al: Neighborhoods, obesity, and diabetes – a randomized social experiment; NEJM 2011; 365: 1509-1519) zeigte auf, dass arme Familien, die besonders häufig von Adipositas betroffen sind, durch Umsiedlung in wohlhabendere Viertel langfristig einen niedrigeren KMI und weniger Diabetes aufweisen als Kontrollfamilien, die in ärmlichen Wohnvierteln wohnen bleiben.

Wobei natürlich niemand erwähnte, woher die Gelder für die Zusatzkosten (sprich teurere Mieten) kommen sollten, was mit den wohlhabenden Viertelbewohnern passiert – werden diese im Gegenzug dicker? – und eine Reihe von moralethischen Fragen sich auftun angesichts eines staatlich gelenkten Umsiedlungsprozesses.

So plagt sich die hiesige Ärzteschaft weiterhin mit der Frage, wie man dieser Epidemie bloß Herr werden könne.

Es ist jedoch einfach. Denn auf dem Weg zu all diesen Konferenzen sieht man die Antworten; man sieht Menschen mit einem Kaffee und Donut in der Hand Auto fahren, McDonald’s und Konsorten  sind ubiquitär und selbst in Krankenhäusern anzutreffen, Coca-Cola das Nationalgetränk und selbst für kleinste Botengänge wird das Auto benutzt. Die Liste der Adipositasursachen ist lang und auch in der Deutschland mittlerweile gut bekannt und weit verbreitet.

Es wäre so einfach, diese Epidemie zu beenden: Sport und sinnvolle Ernährung. Doch am Ende wollen viele ihren „amerikanischen Lebensstil“ nicht aufgeben. Man kann seine innere Trägheit wohl nicht überwinden, frustrierend für uns Ärzte, die die Folgekrankheiten täglich sehen. Dann bleibt uns nichts Anderes übrig als das zu machen, was wir sowieso schon tun: Zu einer weiteren Konferenz fahren und lamentieren und scheinbar endlos diskutieren.

mis

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung