„Die Klimakrise und die menschliche Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden“
Berlin/Bakue – Vor knapp einer Woche ging die Weltklimakonferenz zu Ende – für viele mit einem ernüchternden Ergebnis. Welche Beschlüsse auf der sogenannten COP29 (Conference of Parties) gefasst wurden, berichtet Alina Seebacher von Ärzte ohne Grenzen dem Deutschen Ärzteblatt. Als Expertin für das Thema Klimakrise und Ernährungssicherheit hat sie die Konferenz verfolgt.
Worauf sie ihre Hoffnung setzt und welche Projekte es gibt, klimawandelbedingte Krankheiten einzudämmen, erklärt Seebacher im Gespräch.

Fünf Fragen an Alina Seebacher, Ärzte ohne Grenzen
Wie bewerten Sie das Ergebnis der Weltklimakonferenz und die zugesagte Klimafinanzierung?
Das Ergebnis der COP29 ist enttäuschend. Länder des globalen Südens, insbesondere kleine Inselstaaten, leiden schon heute massiv unter der Klimakrise: Ihre Folgen verursachen Schäden und Verluste, überlasten Gesundheitssysteme, führen zu Krankheiten und Vertreibung, und kosten Menschenleben. 1,3 Billionen US-Dollar wurden gefordert, damit die am stärksten von der Klimakrise betroffenen Länder dringend benötigte Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen umsetzen können. Für das neue Klimafinanzierungsziel konnten sich die Staaten jedoch gerade einmal auf 300 Milliarden US-Dollar jährlich einigen. Statt einer klaren Verbindlichkeit bleibt es bei einem unverbindlichen Appell, die benötigte Billionen-Summe bis 2035 zu mobilisieren.
Über das Quantum der Klimafinanzierung hinaus geht es auch um die Frage des gerechten Zugangs. Denn Gelder kommen derzeit nicht genug dort an, wo sie am dringendsten benötigt werden – das sehen wir auch in vielen der humanitären Kontexte, in denen wir arbeiten. In fragilen und konfliktbetroffenen Staaten sind jährlich dreimal so viele Menschen von Extremwetterereignissen betroffen wie in anderen Regionen.
Menschen in extrem fragilen Ländern erhalten aber etwa 80-mal weniger Klimafinanzierung. Laut einer Analyse vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) lag die jährliche Klimafinanzierung zwischen 2014 und 2021 bei nur 2,1 US-Dollar in extrem fragilen Staaten. Das steht im Vergleich zu 161,7 US-Dollar in nicht-fragilen Ländern.
Über die Streitfrage hinaus, wer die Finanzierung tragen soll – also sogenannte Industrieländer oder auch Schwellenländer wie China und die Golfstaaten – gewinnt zunehmend die Diskussion über alternative Finanzierungsquellen an Bedeutung. Stichworte sind hier neben privaten Investitionen und multilateralen Banken, auch Abgaben, etwa auf Luftfahrt und fossile Brennstoffe, oder eine potenzielle Reichensteuer, wie gerade beim G20 Gipfel diskutiert.
Die brasilianische Regierung als zukünftige COP30-Präsidentschaft wird eine Schlüsselrolle spielen, wie die benötigten 1,3 Billionen US-Dollar mobilisiert werden können. Nur so werden wir den Menschen, die schon jetzt mit ihrer Gesundheit zahlen, angemessen helfen können, sich anzupassen und zu schützen.
Im vergangenen Jahr hat es das erste Mal einen Gesundheitstag auf der COP gegeben. Was ist seitdem passiert?
Die Klimakrise und die menschliche Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden. Auf der letztjährigen COP in Dubai stand diese Themenverknüpfung erstmals im Fokus – es gab den ersten „Health Day“ und einer Erklärung zu Klima und Gesundheit, unterzeichnet von 150 Ländern.
Der Aufschwung, den die COP28 eingeleitet hat, setzte sich über das vergangene Jahr fort, sodass die Themenverknüpfung von Klima und Gesundheit auch in anderen globalen Foren, wie bei der Weltgesundheitsversammlung und dem G20-Gipfel, eine zentrale Rolle spielte. Dieses Momentum muss jetzt genutzt werden, um bei der COP30 in Brasilien nächstes Jahr, bei der Gesundheit erneut ein zentraleres Thema sein wird, ambitionierte Maßnahmen voranzutreiben. Dafür sind auch Beiträge der medizinisch-wissenschaftlichen Gemeinschaft essenziell – etwa im Bereich der Forschung zu klimabedingten Gesundheitsfolgen sowie bei der Bewertung von Klima- und Gesundheitsrisiken, gerade auch in humanitären Kontexten.
Gibt es auch in diesem Jahr wichtige Beschlüsse in Bezug auf Gesundheit?
Das Thema Gesundheit im Kontext der Klimakrise wurde in Baku, wenn auch nicht mit der gleichen Intensität, fortgesetzt. Themen wie Atemwegserkrankungen, sexuelle und reproduktive Gesundheit, mentale Gesundheit oder die Schaffung klimaresilienter Gesundheitssysteme wurden aufgegriffen, und der „Health Day“ und das Health Pavillon waren auch in diesem Jahr Teil des Programms. Zentrale Momente waren ein Sonderbericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Klimawandel und Gesundheit sowie die Gründung der Baku COP Presidencies Continuity Coalition for Climate and Health.
Diese Koalition der Präsidentschaften von COP26 bis COP30 sowie der WHO, soll die Kontinuität von Klima- und Gesundheitsinitiativen stärken, frühere Zusagen umsetzen und die Finanzierung vorantreiben. In Baku zeigte sich jedoch deutlich: Langwierige Verhandlungen über das Finanzierungsziel blockierten Fortschritte in anderen Bereichen. Insbesondere bei der Emissionsminderung wären diese essenziell gewesen. Mit den jetzigen nationalen Klimaschutzplänen, kurz NDCs, steuert die Welt nämlich auf eine Erwärmung von 2,6 bis 3,1 Grad-Celsius zu – ein Szenario mit katastrophalen gesundheitlichen Folgen für Milliarden Menschen.
Die Hoffnung liegt nun auf den neuen NDCs, die 2025 eingereicht werden müssen. Doch angesichts des schwachen Klimafinanzierungsziels, welches Mittel für sogenannte Entwicklungsländer bereitstellen soll, wird es vor allem ärmeren Ländern schwerfallen, ambitionierte nationale Klimaziele anzustreben. Die Formulierung der neuen NDCs bietet auch die wichtige Chance, Gesundheitsziele stärker zu verankern. Diese sind bisher meist oberflächlich. Es besteht Nachholbedarf etwa durch die Festlegung von Luftreinhaltungszielen, Prioritäten zur Gesundheitsanpassung, und die Entwicklung von konkreten Investitions- und Umsetzungsstrategien.
Wie erlebt Ärzte ohne Grenzen den Klimawandel? Welche neuen Herausforderungen gibt es?
Die Klimakrise stellt unsere Arbeit vor eine doppelte Herausforderung: Einerseits nehmen gesundheitliche und humanitäre Bedarfe drastisch zu – Extremwetterereignisse häufen sich, geschwächte Gesundheitssystem werden weiter strapaziert und bestehende Krisen verschärfen sich. Besonders in sogenannten Klimahotspots, also in Ländern wie Niger, Bangladesch oder Südsudan, sind die Auswirkungen gravierend und betreffen Leben und Gesundheit von Millionen Menschen. Konkret bedeutet die Klimakrise für diese Menschen oftmals mehr Mangelernährung, Malaria, Dengue, Cholera, Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürme oder Vertreibung.
Andererseits wird die Umsetzung humanitärer Hilfe erschwert. Zerstörte Infrastruktur und unterbrochene Transportwege schneiden vielen Menschen den Zugang zu medizinischer Versorgung ab. Und auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen vor größeren Herausforderungen, Gemeinschaften zu erreichen, die dringend Unterstützung benötigen.
Laut WHO-Prognosen könnten zwischen 2030 und 2050 jährlich bis zu 250.000 Menschen zusätzlich an den Folgen des Klimawandels sterben. Nothilfeorganisationen allein können diesem steigenden Bedarf nicht gerecht werden. Umso wichtiger ist es, um jedes Zehntel-Grad an vermiedener Erderwärmung zu ringen und effektive Anpassungsmaßnahmen zu fördern.
Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?
Ärzte ohne Grenzen arbeitet auf drei Ebenen: Anpassung, Minderung und Advocacy. Zur Anpassung gehören ein verbessertes Verständnis der gesundheitlichen Klimafolgen sowie die Stärkung unserer Datenlage und -analyse, beispielsweise mithilfe von saisonalen Wetterprognosen oder Modellen zur Vorhersage von Malaria-Peaks. Das ermöglicht uns ein schnelleres und gezielteres Handeln.
Ein gutes Beispiel ist unser Projekt in Honduras: Hier arbeiten wir in Kooperation mit dem Gesundheitsministerium und lokalen Universitäten an einem innovativen Pilotprojekt, das Dengue-Fieber und andere Arboviren eindämmen soll. Indem wir Mücken freisetzen, die zuvor mit dem für Menschen harmlosen Wolbachia-Bakterium infiziert wurden, soll die Übertragungswahrscheinlichkeit von Dengue minimiert werden. Erste Zahlen zeigen, dass Dengue-Fälle in der Region deutlich zurückgegangen sind. Wir erwarten endgültige Ergebnisse in den nächsten Monaten.
Im Bereich Minderung konzentrieren wir uns auf unseren eigenen ökologischen Fußabdruck mit dem Ziel, durch nachhaltige Praktiken in den Bereichen Energie, Transport und Beschaffung, diesen bis 2030 im Vergleich zu 2019 zu halbieren. Von solarbetriebenen medizinischen Einrichtungen, über wiederverwendbare Materialien, bis hin zu Optimierungen in der Logistik.
Als medizinische Nothilfeorganisation machen wir in unserer politischen Arbeit auf die gesundheitlichen und humanitären Folgen der Klimakrise, die wir in unseren Einsätzen erleben, aufmerksam und fordern die notwendigen politischen Weichenstellungen, die den Herausforderungen auch wirklich entsprechen: Beispielsweise von der internationalen Staatengemeinschaft und der deutschen Bundesregierung, dass sie besonders vulnerable Gesellschaften besser schützen und sie angemessen bei der Anpassung und Bewältigung von Klimaschäden unterstützen.
In einer früheren Version des Artikels war von 70 Prozent klimabedingter Todesfälle weltweit zu lesen. Das mussten wir revidieren – korrekt ist ein Anstieg der hitzebedingten Todesfälle bei über 65-Jährigen in den vergangenen 20 Jahren. Quelle: https://daebl.de/HG52
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