Drei Länder ziehen gegen Mindestmengenregelung vor Bundesverfassungsgericht

Stuttgart – Gegen drei Vorgaben zu Mindestmengen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) will Baden-Württemberg gemeinsam mit Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt gerichtlich vorgehen. Die drei Länder haben eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, heißt es heute vom Gesundheitsministerium in Stuttgart. Die Klage wird seit Jahren von Baden-Württemberg vorbereitet.
Bezweckt werde damit die höchstrichterliche Überprüfung der Vorgaben des G-BA auf ihre Verfassungsmäßigkeit, erklärte das Ministerium. Konkret sollen drei Mindestmengenvorgaben des G-BA beklagt werden. Dazu gehört insbesondere die Mindestmenge für die Versorgung von Frühgeborenen mit einem Gewicht von unter 1.250 Gramm.
Seit 2024 müssen Kliniken jährlich mindestens 25 solcher Fälle aufnehmen und behandeln, um die Leistung mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abrechnen zu können. 2023 lag die Mindestmenge bei 20, davor bei 14 Fällen.
Der G-BA verwies bei der Anhebung der Mindestmenge auf die Studienlage im deutschen Versorgungskontext. Demnach senke eine Erhöhung der Fallzahl um zehn das Sterberisiko der Kinder um etwa fünf Prozent. Medizinische Fachkreise hatten noch höhere Mindestmengen gefordert.
Die drei Länder hingegen befürchten, dass die Vorgabe zu Versorgungsverschiebungen und Versorgungsengpässen führe. Der G-BA greife in die Länderverantwortung für die Sicherstellung der stationären Versorgung ein und hebele diese praktisch aus, heißt es in der Mitteilung aus dem baden-württembergischen Gesundheitsministerium.
„Es kann nicht die Einhaltung starrer Grenzen für die Erfüllung von Mindestmengen maßgebend sein, wenn es darum geht, eine flächendeckende Versorgung von Frühgeborenen sicherzustellen“, sagte der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne).
Zu hohe Vorgaben bei Stammzellentransplantationen
Zudem wird die Mindestmenge im Bereich der allogenen Stammzellentransplantation beklagt. Hier gilt eine Mindestmenge von mindestens 40 Transplantationen pro Jahr. Für die drei Länder ist diese Erhöhung von vormals 25 nicht hinreichend belegt.
Als drittes ist die Mindestvorgabe für die Personalausstattung von stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL) Teil der Verfassungsklage. Die Richtlinie trat zu Beginn 2020 in Kraft.
Diese Vorgaben könnten in der Praxis aufgrund des chronischen Personalmangels von den Krankenhäusern nicht oder nur schwer umgesetzt werden, auch wenn dies wünschenswert wäre, erklärten die Länder dazu. Einem IGES-Bericht von Juli 2025 zufolge konnte im vierten Quartal 2023 nur die Hälfte der Einrichtungen in der Erwachsenen- als auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie die Vorgaben der Richtlinie erfüllen.
Zwar habe der G-BA Sanktionen bei Nichterreichen der vorgegebenen Personalzahlen wiederholt ausgesetzt, erklären die drei Länder. Die Kläger befürchten aber, dass bei Geltung der Sanktionen ab dem Jahr 2026 Krankenhäuser und/oder Fachabteilungen ganz oder teilweise schließen oder zumindest ihr Versorgungsangebot für die Regelversorgung einschränken müssen.
Zu große Einschränkungen durch Mindestmengen
Die Länder bemängeln, dass nur unter Aufwand Ausnahmen von den Mindestmengenvorgaben erteilt werden können. Dafür seien sie durch bundesgesetzliche Regelungen an ein bestimmtes Verfahren gebunden, das die Länder „in ihrem Versorgungsauftrag erheblich und in unzulässigerweise einschränke“. Die Länder könnten daher kaum noch oder nur unter erschwerten Bedingungen Vorgaben des G-BA „praxistauglich“ machen oder gegensteuern.
Aus ihrer Sicht reicht die Expertise des G-BA nicht aus, um die Versorgungsproblematiken in den jeweiligen Bundesländern zu überblicken, erklärten die drei Gesundheitsministerinnen und -minister von Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt.
„Die Klage sehen wir als notwendiges letztes Mittel, um die verbriefte Hoheit der Länder bei der Krankenhausplanung gegen wiederholte Eingriffe des G-BA zu schützen“, sagte Lucha. Auch seine Länderkolleginnen Kerstin von der Decken (CDU) aus Schleswig-Holstein und Petra Grimm-Benne (SPD) aus Sachsen-Anhalt seien dieser Auffassung.
Von der Decken zufolge sind Spezialisierung und Konzentration hochkomplexer Leistungen unerlässliche Bausteine einer modernen Krankenhausplanung. „Jedoch müssen die Länder weiterhin flexibel agieren können, um die Versorgung unter Berücksichtigung regionaler Rahmenbedingungen sicherstellen zu können“, betonte sie.
Grimm-Benne ergänzte, sie wollen prüfen lassen, ob die geltenden Mindestmengen- und Personalvorgaben des G-BA mit der Verantwortung der Länder für eine auskömmliche Krankenhausversorgung vereinbar seien. „Das Ergebnis könnte ein wichtiges Signal an den Bund liefern.“
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, widerspricht der Sicht der Länder. Man spreche nicht über Notfalloperationen, sondern über planbare, komplexe Interventionen, bei denen es einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Anzahl der durchgeführten Behandlungen und oder Interventionen und der Ergebnisqualität gebe. In diesen Fällen zahle sich Routine aus, sie könne nicht durchStrukturvorgaben ersetzt werden.
Gerade bei der Versorgung von untergewichtigen Frühgeborenen habe die Zahl der behandelten Frühchen unmittelbaren Einfluss auf die Sterberate und das Maß späterer Beeinträchtigungen. ,,Für mich steht fest: Qualität ist nicht verhandelbar’‘, sagte Hecken. Mit Krankenhausplanung habe dies nichts zu tun.
Im Zuge der parallel laufenden bundesweiten Krankenhausreform sind über die einzelnen Mindestmengenvorgaben des G-BA zudem Mindestvorhaltezahlen für die 61 Leistungsgruppen vorgesehen.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWIG) soll dafür eine wissenschaftlich fundierte Methodik entwickeln und ein Stellungnahmeverfahren sowie Pilotbewertungen anstreben, um eine fundierte und wissenschaftlich akzeptierte Festlegung von Mindestvorhaltezahlen einzuführen.
Ziel ist, Gelegenheitsversorgung von Kliniken auszuschließen. Dazu soll es eine eigene Rechtsverordnung geben. Diese soll dem aktuellen Entwurf des Krankenhausanpassungsgesetzes (KHAG) nicht mehr bis spätestens zum 12. Dezember 2025, sondern bis zum 12. Dezember 2026 erlassen werden. Die geplante Wirkung ab Januar 2027 soll damit gestrichen werden.
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