Politik

Richtlinie zu Früh- und Reifgeborenen erweitert: Kliniken drohen Sanktionen

  • Freitag, 19. Juli 2024
/Iryna, stock.adobe.com
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Berlin – Die Mitglieder des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) haben die Versorgung von Früh- und Reif­geborenen auf einen neuen Qualitätsstandard gehoben und verpflichten Kliniken ab 2027 zur strikteren Ein­haltung der Mindestzahlen beim Pflegepersonal.

Bei der nun inhaltlich weiterentwickelten Qualitätssicherungs-Richtlinie wurde vor allem auf die aktuelle Richtlinie „Empfehlungen für die strukturellen Voraussetzungen der perinatologischen Versorgung in Deutschland“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Bezug genommen.

Außerdem seien Erkenntnisse aus dem Verfahren des „klärenden Dialogs" mit eingeflossen, der mit den Klini­ken geführt wird, die die Mindestanforderungen der Richtlinien nicht einhalten können, teilte der G-BA im Anschluss an die Sitzung mit.

In der gestrigen Plenumssitzung stimmten die Mitglieder einem Beschlussentwurf zu, den die drei Unpartei­ischen vorgelegt hatten. Zuvor hatte es nach Aussage des Unparteiischen Vorsitzenden, Josef Hecken, im Un­terausschuss Qualitätssicherung keine Einigung über die Neufassung der Richtlinie gegeben, so dass mehr als 300 nicht geeinte Punkte vorgelegen hätten.

Dazu gehörten offenbar nicht nur inhaltliche, sondern auch redaktionelle Debatten über Grammatik und Kommasetzungen, erklärte Hecken zu Beginn der Diskussion. Die Möglichkeit, dass die Unparteiischen in solchen Fällen eigene Beschlussvorlagen erarbeiten und zur Abstimmung bringen können, gibt es seit 2019.

Mit der vorgelegten Richtlinie sollen ab 2027 Sanktionen greifen, wenn die Mindestanforderungen beispiels­weise beim Pflegepersonal nicht erfüllt werden. Mit der Richtlinie würden Personalvorgaben flexibilisiert, gleichzeitig auch konkretisiert, betont der G-BA.

Die fachlichen Vorgaben der aktuellen Leitlinie mit dem höchsten Empfehlungsgrad werden von der Richt­linie als Mindestanforderungen bezogen auf die jeweilige Stufe der perinatologischen Versorgung über­nommen, teilte der G-BA mit.

Verstießen Kliniken ab 2017 wegen fehlendem Personal dagegen, werde die Vergütung anteilig abgezogen. Dabei werde „Tag-genau" abgerechnet, wie die Unparteiische Karin Maag erklärte. Anders sei es bei den „weiteren Qualitätsanforderungen“: Ein Nichterfüllen der weiteren Qualitätsanforderungen wird erfasst, führt jedoch nicht zu einem Vergütungswegfall, betont der G-BA.

Diskussion um Sanktionen

Vor allem am Punkt der Sanktionen und des Einsatzes der Pflegekräfte entspann sich die Diskussion im G-BA-Plenum: So führte der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, aus, dass sich in der Konsequenz der Richtlinie weitere Krankenhausdirektoren von Level-1-Perinatalzentren aus der Versor­gung verabschieden würden.

Die angedrohten Sanktionen, die komplette DRG-Zahlung für den Tag ohne ausreichende Pflegekräfte sowie der komplette Verlust der entsprechenden Pflegepauschale zu bekommen, sei für viele Geschäftsführer nicht mehr tragbar.

Nach der Schließung von Standorten würde sich aus seiner Sicht die Pflegekräfte aber nicht an andere Stand­orte, die dann mehr Patienten versorgen müssten, wechseln. Somit entstünden Wartelisten, die im Fall der Früh­chenversorgung nicht entstehen dürften, so Gaß.

Er erklärte ebenso, dass die AWMF-Leitlinie, die der G-BA-Richtlinie nun zugrunde legt, viel zu weit ausgelegt worden sei. So gingen die Qualitätsanforderungen des G-BA-Beschlusses weit über die Anforderungen hinaus, die die wissenschaftlichen Fachgesellschaften als notwendig ansehen. Daher forderte er, den Beschluss noch einmal zu überdenken und neu zu betrachten.

Dieser Argumentation konnten weder die Vertreter der Krankenkassen noch der Patientenvertretung folgen. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, erklärte, dass die Leitlinien die Mindestan­forderungen vorgäben und diese im G-BA für die Versorgung weiterentwickelt würden. Sie plädierte dafür, die Sanktionen, die den Kliniken erst 2027 drohen sollten, früher anzusetzen.

Das forderten auch die Patientenvertreter: „Qualitätssicherung ist immer strittig. Denn hier soll etwas trans­parent gemacht werden, was interessierte Kreise nicht so deutlich sichtbar haben wollen“, sagte der Sprecher für Qualitätssicherung der Patientenvertreter im G-BA, Wolf-Dietrich Trenner.

Im Plenum sagte er auch deutlich: „Wenn Eltern wüssten, wie viel von der guten Versorgung der Frühchen ab­hänge, würden sie noch ganz andere Wege zu einer guten Versorgung in Kauf nehmen." Er forderte klar, dass es Konsequenzen für die Kliniken geben müsse, die die Personalvorgaben nicht einhielten.

„Das Pflegepersonal muss ausgebildet werden. Ich würde mir wünschen, die Länder müssten nachweisen, was sie tun, um Personal auszubilden.“ Er forderte auch, dass die Sanktionen für die Kliniken deutlich eher greifen, ohne den geplanten Übergangszeitraum. In der Abstimmung dazu stimmten die Krankenkassen dafür, die Unparteiischen und die DKG dagegen.

Bei der Abstimmung über die Richtlinie insgesamt stimmten die Unparteiischen mit den Krankenkassen und gegen die DKG. Die kritisierte im Nachgang der Entscheidung per Mitteilung das Votum noch einmal deutlich.

„Die Überarbeitung der Qualitätssicherungsrichtlinie für Früh- und Reifgeborene gefährdet mittelfristig die aktuell im internationalen Vergleich noch gute Versorgung von Frühchen in Deutschland“, sagte Gaß. Die Qua­litätsanforderungen seien „im Sinne der GKV kleinteilig" und würden mit „sehr hohen finanziellen Sanktionen auf die Spitze" getrieben. Er sieht die „medizinische Leitlinie der AWMF als Sanktionsinstrument zweckent­fremdet und missbraucht."

Auch die Bundesländer, persönlich nicht in der Sitzung anwesend, teilen die Argumentation der DKG und for­derten, die Richtlinie nicht in der Form abzustimmen. Der Unparteiische Hecken zitierte aus der E-Mail, in dem die Länder ihren Beschluss erklärten: Auch sie fürchten, dass die Zahl der Perinatalzentren sich verrin­gere und die Zentren, die übrigblieben, immer größer würden. Die Pflegepersonalgrenzen seien nicht er­füllbar, das vorhandene Personal wechsle nicht den Standort.

bee

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