Politik

Nicht invasive Pränataldiagnostik: G-BA weist in Brief auf Regelungslücken hin

  • Dienstag, 23. August 2016
Uploaded: 23.08.2016 15:37:06 by maybaum
/dpa

Berlin – Der Gesetzgeber muss in naher Zukunft die Frage beantworten, ob und in wie­weit molekulargenetische Testverfahren in der Schwangerschaft angewendet werden können. Diese Forderung hat der Gemein­sa­me Bundes­aus­schuss (G-BA) in einem Brief an Abgeordnete des Bundestags, Mit­glie­der des Gesundheitsausschusses, die rechts­po­­litischen Sprecher, den Behindertenbeauftragten sowie Bundesge­sund­heitsminister Hermann Gröhe (CDU) aufgestellt. Mit dem Schreiben antwortet das Gremium auf einen Offenen Brief von vier Parlamentariern. Hintergrund ist die aktuelle Debatte um die nicht invasive Pränataldiagnostik (NIPD), zu der der G-BA in der vergangenen Woche die Einleitung einer Methodenbewertung für einen Trisomie-Test beschlossen hatte.

Dem G-BA zufolge geht die Fragestellung zu Testungen in der Schwangerschaft weit über den momentanen Einzelfall hinaus. Es sei damit zu rechnen, „dass schon in abseh­barer Zeit wei­te­re molekulargenetische Testverfahren zur Verfügung stehen, die über die Trisomie hi­naus­gehen und die ebenso wie die Entscheidung über das jetzige Verfahren funda­men­tale ethische Grundsatzfragen unserer Werteordnung berühren, die der Ge­mein­same Bundesausschuss im Rahmen seiner ihm in den gesetzlichen Vorschriften über die Durchführung von Methodenbewertungsverfahren gegebenen, eher wissen­schaftlich-technischen Prüfkompetenzen weder allein beantworten kann noch allein be­antworten darf“, heißt es in dem Schreiben, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Un­terzeichnet haben den Brief die drei Unperteiischen G-BA-Mitglieder, Kassenärztliche und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, GKV-Spitzenverband sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Alle betonen, gerade weil ethische Grundsatzfragen berührt werden, sei „der Parlamentsgesetzgeber gefordert“, „Grenzen und Bedingungen zu de­fi­nie­ren“.

Zahlreiche offene Fragen
Die Bänke im G-BA weisen wiederholt darauf hin, dass sie sich eine parlamentarische Diskussion wünschen. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass es eine „Reihe“ von Rahmenbedingungen gibt, die beachtet oder gegebenenfalls korrigiert werden müssten. Laut G-BA stellt sich zum Beispiel die Frage, ob Testverfahren wie die Fruchtwasser­un­ter­­suchung, die derzeit invasiv und mit Gefahren im Rahmen der Risikoschwan­ger­schaft zulasten der gesetz­lichen Krankenversicherung (GKV) angewendet wird, im „Lichte un­se­rer Werteordnung (...) überhaupt gewollt sind und Gegenstand des Leistungskatalogs sein können“.

Haftungsfrage für Ärzte relevant
Bedacht werden müsse zudem ein Urteil des Bundesgerichtshofs (Az.: VI ZR 85/82, Rn. 10) von 1983. Dieses habe zwischenzeitlich zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung geführt, wonach Gynäkologen verpflichtet sind, Frauen bei Risiko­schwanger­schaften über Möglichkeiten und Grenzen pränataler Diagnostik umfassend aufzuklären, wenn aufgrund der konkreten Risikofaktoren die Gefahr einer Schädigung des Kindes besteht.

In letzter Konsequenz sei ein behindertes Kind damit ein „Schaden“ im Rechtssinne und dies sei von „höchster Relevanz“ für Ärzte. „Wenn man Verfahren zur Erkennung von durch Chromosomenveränderungen verursachten Erkrankungen des Ungeborenen des­halb aus ethischen Gesichtspunkten infrage stellt, müssen gleich­zei­tig die haftungs­recht­lichen Rahmenbedingungen, die Basis für die Rechtsprechung sind, verändert werden“, so der G-BA.

Das Gremium ruft den Gesetzgeber auch dazu auf, die Vorgaben zur Methoden­be­wer­tung (§§ 135 ff. Sozialgesetzbuch V) anzupassen. Wenn ein neues Verfahren einem be­reits im Leistungskatalog enthaltenen Verfahren überlegen sei, weil es Gefahren redu­zie­re, könne eine sehr starke Einengung des Entscheidungsermessens im G-BA bis hin zur Ermessensreduzierung auf Null erfolgen, bemängelt der Ausschuss. Im Regelfall seien die Regelungen zwar genügend. Bei grundsätzlichen ethischen Fragestellungen „reichen sie aber nicht aus“.

Beratung verpflichtend, auch für private Tests
Der G-BA mahnt darüber hinaus an, ein besonderes Augenmerk auf die Aufklärung und Beratung werdender Mütter und Väter zu legen. Die Frage sei von grundsätzlicher Be­deutung, da die Tests bereits in „sehr wei­tem Umfang“ auch außerhalb von Risiko­schwan­ger­schaften für Selbstzahler ange­bo­ten werden. Der G-BA fordert eine um­fassende Bera­tung auch vor einer privat erworbe­nen Testung. Dies könne zudem einer „beobachteten Marktdynamik“ begegnen. Erfor­der­lich sei dafür jedoch eine gesetzliche Grundlage, heißt es.

In einem weiteren Schreiben mit ähnlichem Inhalt an die Deutsche Bischofskonferenz hat der G-BA seine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Man sei sich der hohen ethischen Bedeutung bewusst und für Gespräche offen, schreibt das Gremium.

may

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