Edaravone: Neues Medikament zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose zugelassen

Silver Spring – Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat einen neuen Wirkstoff zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) zugelassen. Das Antioxidans Edaravone hatte in einer klinischen Studie das Fortschreiten der Neurodegeneration verzögert. Das Mittel wird in dieser Indikation in Japan bereits eingesetzt. Die Behandlung erfordert regelmäßige intravenöse Infusionen, weshalb ein Hersteller in den Niederlanden seit Jahren an einer oral verfügbaren Variante forscht.
Bei der ALS kommt es zu einer fortschreitenden Degeneration der beiden Motoneurone, die normalerweise die Befehle der Großhirnrinde über eine Umschaltstelle im Rückenmark auf die Muskelzellen übertragen. Die Folge ist eine zunehmende Lähmung der Patienten. Die Erkrankung ist nicht heilbar. Seit 1997 ist mit Riluzol allerdings ein Wirkstoff zugelassen, der den Verlauf der Erkrankung verlangsamt.
Der Glutamat-Antagonist hat in klinischen Studien die Wahrscheinlichkeit, das erste Therapiejahr zu überleben, leicht um 6,4 bis 12,1 Prozent erhöht. Die Überlebenszeit der meisten ALS-Patienten ist auf wenige Jahre begrenzt, auch wenn es sehr langsame Verläufe gibt, wie das Beispiel des britischen Astrophysikers Stephen Hawking zeigt.
Antixodative Wirkung vermutet
Edaravone ist nach Riluzol der zweite Wirkstoff, der in einer klinischen Studie das Fortschreiten der Erkrankung verzögert hat. Die für die Zulassung maßgebliche Studie wurde in Japan durchgeführt, wo das Mittel seit 2015 zur Behandlung der ALS zugelassen ist, nachdem es zuvor bereits einige Jahre als Neuroprotektivum für Schlaganfallpatienten auf dem Markt war. Der Wirkungsmechanismus ist nicht bekannt. Die meisten Experten vermuten eine antixodative Wirkung.
An der Studie hatten 137 Patienten teilgenommen, deren Diagnose weniger als zwei Jahre zurücklag. Weiteres Einschlusskriterium war ein weitgehender Erhalt der Alltagsfähigkeiten. Gefordert wurden zwei oder mehr Punkte in allen zwölf Fragen der ALSFRS-R-Skala (ALS Functional Rating Scale – Revised) sowie eine normale Atemfunktion mit einer forcierten Vitalkapazität von mindestens 80 Prozent. Diese Einschlusskriterien sind wichtig, da Edaravone in zwei früheren Studien mit weniger engen Einschlusskriterien oder einer weiter fortgeschrittenen Erkrankung keine signifikante Wirkung erzielte (zitiert nach Frontiers in Aging Neurosciene 2017; doi: 10.3389/fnagi.2017.00068).
In der vom Hersteller initiierten randomisierten placebokontrollierten Studie verzögerte Edaravone während der Behandlungszeit von 24 Wochen einen weiteren Anstieg des Gesamt-ALSFRS-R um 2,49 Punkte (95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,99–3,98): Unter der Behandlung mit Edaravone war es im Durchschnitt zu einer Verschlechterung um 5,01 Punkte gekommen gegenüber einer Verschlechterung um 7,50 Punkte in der Placebogruppe. Die ALSFRS-R-Skala bewertet zwölf Fähigkeiten der Patienten mit jeweils 4 Punkten. Sie kann damit einen Maximalwert von 48 Punkten (bestes Ergebnis) annehmen.
Die Verträglichkeit von Edaravone scheint im Allgemeinen gut zu sein. Die FDA gibt als häufigste Nebenwirkungen Blutergüsse und Gangstörungen an. Es kann aber zu lebensbedrohlichen Überempfindlichkeitsreaktionen auf den Inhaltsstoff Natriumbisulfit kommen mit Urtikaria, Ödemen oder Atemnot.
Die Anwendung von Edaravone ist kompliziert. Da das Mittel nicht oral verfügbar ist und rasch abgebaut wird (Eliminationshalbwertszeit 4,5 bis 6 Stunden), sind regelmäßige Infusionen von 60 Minuten Dauer notwendig. Jeder Zyklus dauert 14 Tage. Im ersten Zyklus erhalten die Patienten an allen Tagen eine Infusion. Es folgt eine 14-tägige Pause. In allen folgenden Zyklen sind die Infusionen auf die ersten der 14 Tage beschränkt. Nach jedem Zyklus erfolgt eine 14-tätige Pause.
Der niederländische Hersteller Treeway aus Rotterdam hat die Entwicklung einer oralen Formulierung von Edaravone („TW001“) angekündigt, die allerdings noch nicht abgeschlossen ist. Die europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat Edaravone im Juli 2015 einen „Orphan Drug“-Status zugesprochen, der zu einer beschleunigten Zulassung führen könnte. Die Behandlungskosten in den USA betragen laut Presseberichten 145.000 US-Dollar pro Jahr.
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