Ein Kinderbeauftragter für den Bundestag wäre gut
Berlin – „Wir müssen mehr dafür tun, dass alle Kinder eine Chance haben, gesund aufzuwachsen.“ Diese Forderung hat Manfred Gahr, Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder –und Jugendmedizin (DAKJ), aus Anlass des Inkrafttretens der UN-Kinderrechtskonvention vor 25 Jahren erhoben. Die DAKJ hat sich vor kurzem bei einem Symposium ausführlich mit der Konvention befasst. Dabei ging es auch um nachahmenswerte Beispiele aus anderen Ländern.

5 Fragen an Manfred Gahr, Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder– und Jugendmedizin
DÄ: Herr Professor Gahr, Ihre Akademie hat kürzlich das Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention vor 25 Jahre zum Anlass für ein Symposium „Kinderrechte stärken“ genommen. Warum?
Gahr: Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Kinderrechte auch in Deutschland noch stärker verankert werden müssen. Der Schutz von Ehe und Familie und das Erziehungsrecht der Eltern sind im Grundgesetz festgehalten. Ein Hinweis auf Kinderrechte existiert dort noch nicht. Das muss sich ändern.
Die Aufmerksamkeit für das Thema Kinderrechte hat sich in den letzten Jahren in Deutschland sicher erhöht. Es wird auf jeden Fall wahrgenommen, dass und welche Probleme es gibt. Für den Bereich der Kindesmisshandlung und des sexuellen Kindesmissbrauchs gilt das auf jeden Fall. Insgesamt geht es mir aber noch zu langsam. Deswegen setzt sich die Akademie auch für einen Kinderbeauftragten ein, vergleichbar dem Wehrbeauftragten. Dieser ist nur dem Parlament verantwortlich und nicht einem Ministerium unterstellt, und er hat zahlreiche Rechte. Solch einen Beauftragten sollte es auch für Kinder geben. Er könnte beispielsweise prüfen, ob neue Gesetzesvorhaben und Kinderrechte vereinbar sind.
DÄ: Was würde sich ändern, wenn Kinderrechte im Grundgesetz verankert würden?
Gahr: Ich denke, das könnte in vielen Bereichen etwas bewegen. Nehmen Sie als Beispiel die Kindergärten in Deutschland. Im internationalen Vergleich ist der Betreuungsschlüssel bei uns schlecht, das heißt: Es gibt viel zu wenig Erzieherinnen für zu viele Kinder. Für Kinder aus einer Mittelschichtfamilie mag das kein Problem sein, weil sie zu Hause gut gefördert werden. Aber Kinder aus anderen sozialen Schichten sind darauf angewiesen, im Kindergarten das zu lernen und mitzunehmen, woran es zu Hause fehlt. Das funktioniert aber nicht, wenn es zu wenige Erzieherinnen gibt, die sich um solche benachteiligten Kinder intensiv kümmern können, beispielsweise im Bereich der Sprachförderung.
DÄ: Was ärgert Sie aktuell besonders, wenn es um das Thema Kinderrechte in Deutschland geht?
Gahr: Derzeit kommen sehr viele Flüchtlingsfamilien nach Deutschland. Gerade wird wieder deutlich, dass die Kinder hier sehr schlecht versorgt werden. Deutschland hat aber die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Das bedeutet: Es hat sich verpflichtet, allen Kindern im Land bestmöglichen Schutz und bestmögliche Versorgung zu sichern. Tatsächlich werden Kinder in Flüchtlings- oder Asylantenheimen derzeit aber schlecht versorgt.
Kürzlich wurde über ein Heim berichtet, in dem das Wachpersonal offenbar Flüchtlinge misshandelt hat. Dort traten aber wohl auch Masernfälle auf. Das ist ein Hinweis auf unzureichende Versorgung und unterlassene Impfungen. Kollegen haben mir auch von zwei Fällen berichtet, in denen Flüchtlingskinder gestorben sind, weil sie zu spät zum Arzt kamen. Das kann zum Beispiel passieren, wenn sie an einem Freitagnachmittag schwer erkrankten und erst am Montag geklärt werden konnte, ob die Kosten für eine umfassendere medizinische Behandlung übernommen werden.
DÄ: Welche Lücken im Bereich der Kinderrechte nehmen Sie bei Kindern wahr, die hier dauerhaft leben?
Gahr: Uns besorgt, dass die gesundheitliche Verfassung von Kindern so stark vom sozialen Status ihrer Familie abhängt. Von Übergewicht, psychischen Auffälligkeiten und anderem, was wir unter dem Begriff neue Morbiditäten zusammenfassen, sind sie stärker betroffen, wenn sie aus einer Familie mit einem niedrigen sozialen Status stammen. Ihr gesundheitliches Wohlbefinden ist damit massiv vom Status der Eltern abhängig, und das darf nicht so bleiben. Dass Gesundheit und auch Bildung vom sozialen Status abhängen, weiß man. Aber gegen diese Verkettung wird zu wenig getan.
DÄ: Gibt es Ansätze in anderen Ländern zur Stärkung von Kinderrechten, von denen Sie sagen: Dies oder jenes könnte man sehr gut importieren?
Gahr: Von den skandinavischen Ländern kann man sich zum Beispiel sehr gute Betreuungsschlüssel für Kindergärten abgucken. Schweden ist kein reiches Land, aber das leistet der Staat dort. Nehmen Sie ein anderes Beispiel: Unterstützung durch Schulpsychologen. Ich lebe in Sachsen, wo gerade eine Hand voll angestellt ist für alle Schulen im Freistaat. Das sind viel zu wenige.
In Schweden gibt es für jede Schule einen Schulpsychologen als Ansprechpartner und eine Art Schulschwester, die für gesundheitliche Fragestellungen vor Ort ist. Man kann vieles tun, man muss es nur wollen. Das Geld dafür sollte Deutschland eigentlich haben. Auf jeden Fall würden sich solche Investitionen in die Zukunft lohnen.
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