Politik

Ende der Coronapandemie: Ampel uneinig über weiteren Kurs

  • Dienstag, 27. Dezember 2022
/picture alliance, photothek, Florian Gaertner
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Berlin – Der Berliner Virologe Christian Drosten hält die Coronapandemie für beendet und spricht von einem Übergang zu einer endemischen Lage. „Nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei“, sagte er dem Tagesspiegel. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) forderte daraufhin ein Ende der verbliebenen Corona-Schutzmaßnahmen – erhält aber Widerspruch von den Koalitionspartnern.

Die Immunität in der Bevölkerung werde nach diesem Winter so breit und belastbar sein, dass das Virus im Sommer kaum noch durchkommen könne, begründete Drosten seine Einschätzung. Bereits jetzt gebe es in Deutschland eine „erste endemische Welle“ von Corona-Infektionen.

Grundsätzlich möglich sei zwar weiterhin ein Mutationssprung bei SARS-CoV-2. „Aber auch das erwarte ich im Moment nicht mehr“, sagte der Virologe der Berliner Charité. Er verwies dabei auf die Erfolge der Impfkampagnen in Deutschland und anderen europäischen Staaten – anders als beispielsweise in China, wo sich Coronainfektionen derzeit rasant ausbreiten.

Drosten verteidigte jedoch erneut die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie. „Hätte man gar nichts gemacht, dann wäre man in Deutschland in den Wellen bis zu Delta auf eine Million Tote oder mehr gekommen“, gab er zu bedenken.

„Ich rechne fest damit, dass die Pandemie jetzt zunehmend ausläuft“, sagte auch der Intensivmediziner Christian Karagiannidis dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Er bezeichnete es ebenfalls als unwahrscheinlich, dass sich in Deutschland noch einmal eine gefährliche Variante von SARS-CoV-2 ausbreiten werde.

Die Abwehr der Krankheitserreger funktioniere offenbar sehr gut, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI) mit Blick auf die Immunität durch Antikörper und T-Zellen in der Bevölkerung. Auch lasse sich beobachten, „dass die Zahl der schweren Erkrankungen immer mehr abnimmt“. Einen Rückschlag erwarte auch er daher nicht.

Zwar werde es auch künftig noch „die eine oder andere kleine Welle“ geben, „aber wir merken, dass die Immunitätslage der Bevölkerung solide ist und wir auf den Intensivstationen deutlich weniger Covid-Patienten haben“, fügte das Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung hinzu.

Unterschiedliche Schlussfolgerungen

„Als politische Konsequenz sollten wir die letzten Corona-Schutzmaßnahmen beenden“, forderte Buschmann daraufhin mit Blick auf die Äußerungen Drostens bei Twitter. Zustimmung erhielt er umgehend vom stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki.

Er sieht keinen Grund mehr für Corona-Schutzmaßnahmen: Mit der Erklärung von Drosten werde „jeglicher Grundrechtseinschränkung zur Eindämmung des Coronavirus die Grundlage entzogen“, sagte Kubicki dem Tagesspiegel.

Er erwarte, dass die Koalitionspartner im Bund so schnell wie möglich zusammenkämen und eine entsprechende gesetzliche Änderung des Infektionsschutzgesetzes angingen. „Dies ist verfassungsrechtlich geboten.“ Auch die Länder müssten jetzt ihre jeweiligen Maßnahmen beenden, forderte der FDP-Politiker.

Bei den Koalitionspartnern sieht man das jedoch anders. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt eine schnelle Aufhebung der noch bestehenden Corona-Maßnahmen ab. „Ein sofortiges Beenden aller Maßnahmen wäre leichtsinnig und wird auch von Christian Drosten nicht gefordert“, sagte er heute.

„Christian Drosten hat Recht, dass wir in den endemischen Zustand der Coronawellen übergegangen sind, die Wellen betreffen nur Teile der Bevölkerung“, sagte Lauterbach. Trotzdem gelte es, jetzt noch die besonders gefährdeten Menschen zu schützen, etwa durch Masken in Pflegeeinrichtungen oder durch die Isolation am Arbeitsplatz. „Die Kliniken sind voll, das Personal überlastet, die Übersterblichkeit ist hoch und der Winter ist noch nicht zu Ende.“

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, pflichtete Lauterbach bei: Sie halte Buschmanns Aussagen für voreilig. „Ohnehin müsste sich eine solche Forderung direkt an die Länder richten. Sie haben die Fäden bei den Maßnahmen zum Infektionsschutz in der Hand.“

Baehrens sieht das Land stattdessen bereits gut auf eine Lockerung der Situation vorbereitet. „Das von den Ampelpartnern beschlossene Infektionsschutzgesetz hat eine deutliche Besserung der Corona-Lage mit einkalkuliert“, erklärte sie. „Den Pfad bis zum Ende der Regelungen Anfang April sollten wir beibehalten.“

Auch der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen mahnte für den Winter noch Vorsicht an. „Zurzeit spricht vieles dafür, dass sich das Coronavirus kaum noch verändert und seine zurzeit noch starke Verbreitung mit dem Ende dieses Winters endlich deutlich zurückgehen wird“, sagte er heute dem Tagesspiegel.

Bis zum Frühjahr sollte man aus Dahmens Sicht wegen der aktuell noch starken Verbreitung des Virus, damit einhergehenden Personalausfällen und der Belastung des Gesundheitswesens aber „weiter rücksichtsvoll sein und in Innenräumen deshalb Maske tragen, Händehygiene einhalten und auf regelmäßig Lüften achten.“

Die meisten Corona-Schutzmaßnahmen wurden mittlerweile bereits aufgehoben. Noch in Kraft sind unter anderem Maskenpflichten in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen. Teilweise gelten in medizinischen Einrichtungen auch Testpflichten oder Einschränkungen für Besuche.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte für Deutschland in seinem Wochenbericht vor Weihnachten darauf hingewiesen, dass bei Infektionskrankheiten mittlerweile Influenzaviren und das RSV-Virus dominieren, nicht mehr das Coronavirus.

Auch bei dieser Welle sieht Karagiannidis den Höhepunkt aber bereits erreicht. „Ein leichter Rückgang zeichnet sich sowohl bei der RSV-Welle als auch bei den anderen Infektionserkrankungen ab“, sagte er. Er warnte aber gleichwohl vor regionalen Engpässen in den Kliniken an Silvester und Neujahr und forderte die Menschen auf, freiwillig auf das Böllern zu verzichten.

Allerdings blieben die Infektionszahlen demnach auch bei SARS-CoV-2 auf einem hohen Niveau. So gab es laut RKI in der 50. Kalenderwoche unter den Menschen mit Symptomen einer akuten Atemwegserkrankung zwischen 400.000 und 700.000 mit einer Corona-Infektion. Auch habe es wegen Corona in der Woche 3700 neue Krankenhausaufnahmen gegeben, insbesondere von älteren Menschen.

afp/dpa/lau

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