Politik

Erste Eckpunkte der Pflegereform bis Jahresende geplant

  • Montag, 7. Juli 2025
Von links: Bildungsministerin Karin Prien (CDU); Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU), die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) und Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) /picture alliance, epd-bild, Christian Ditsch
Von links: Bildungsministerin Karin Prien (CDU); Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU), die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) und Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) /picture alliance, epd-bild, Christian Ditsch

Berlin – Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG) „Zukunftspakt Pflege“, die eine umfassende Reform der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) vorbereiten soll, ist heute erstmals zusammengekommen. Es wartet eine Mammutaufgabe auf die Kommission. Erste Eckpunkte soll es bis Jahresende geben.

Wegen der stark steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland wird ein steigendes Defizit der SPV für die kommenden Jahre erwartet. Die DAK-Gesundheit geht im laufenden Jahr von einem Defizit in Höhe von 1,65 Milliarden Euro aus sowie von einem Defizit von 3,5 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Um die Soziale Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen, plant die BLAG „tiefgreifende, strukturelle Reformen“ des Systems.

„Eine grundsätzliche Reform der Pflegeversicherung ist dringend notwendig“, erklärte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) nach dem Treffen vor Journalisten in Berlin. „Wir brauchen keine Reförmchen, sondern eine Reform. Und wir brauchen schnelle Ergebnisse.“ Für die Politik gebe es jetzt angesichts der großen Probleme der SPV keine Ausreden mehr.

„Wir brauchen ein nachhaltiges Pflegekonzept“, so Warken weiter. „Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass sie im Pflegefall nicht überlastet werden.“ Pflege müsse einfach zugänglich sein. Und sie dürfe nicht zu einem Armutsrisiko werden.

Der Erfolg der BLAG hänge auch davon ab, dass sie in Ruhe arbeiten kann. „Das funktioniert aber nur, wenn die Pflege kurzfristig finanziell stabilisiert wird“, betonte Warken. Die bisherigen Beschlüsse der Regierung reichten dafür nicht.

Schon im Mai hatte Warken erklärt, es seien kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der Pflegefinanzen dringend nötig. Zudem schulde der Bund den Pflegekassen noch mehr als fünf Milliarden Euro aus der Coronapandemie.

Nach der Haushaltsdebatte verständigte sich die Regierung dann allerdings auf zwei nicht zu verzinsende Darlehen in Höhe von 500 Millionen Euro im Jahr 2025 und 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2026. Warken betonte jetzt, dass die Beiträge zur SPV aus ihrer Sicht steigen müssten, wenn es nicht mehr Geld vom Bund gebe. Nun komme es auf die noch anstehenden parlamentarischen Beratungen zum Haushalt an.

In einem vorab veröffentlichen Entwurf einer Beschlussvorlage sind die Fragestellungen detailliert aufgeführt, die von der BLAG beraten werden sollen. Zu den Themen gehören die Überprüfung des Leistungsumfangs der SPV ebenso wie die mögliche Einführung einer „verpflichtenden individuellen Absicherung der privaten Eigenvorsorge in Kombination mit einem umlagebasierten Teilleistungssystem“.

Dabei solle geprüft werden, „ob das System weiterhin vorrangig auf das Umlageverfahren als zentrales, systemprägendes Merkmal setzt und bei einem Teilleistungssystem die Eigenvorsorge weiterhin freiwillig erfolgen sollte oder ob zum Abbau der von pflegebedürftigen Menschen zu tragenden Eigenanteile gegebenenfalls ein ergänzendes, verpflichtendes Element eingeführt werden sollte. Hier wäre ein verpflichtendes Kapitaldeckungssystem zu prüfen“, heißt es darin.

Grundsätzliche Ziele der Reform sind der Beschlussvorlage zufolge, „die nachhaltige Finanzierung und Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung zu sichern“, „die ambulante und häusliche Pflege zu stärken, pflegende Angehörige zu unterstützen“ und „zu gewährleisten, dass Leistungen der Pflegeversicherung von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen einfach und bürokratiearm in Anspruch genommen werden können“.

Im Koalitionsvertrag werde zudem darauf hingewiesen, die Finanzsituation zu stabilisieren, eine weitere Belastung für die Beitragszahlenden zu vermeiden, die seit Jahren steigende Ausgabendynamik zu stoppen und die strukturelle Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen zu schließen.

„Ergänzend werden durch das BMG parallel und außerhalb zum Prozess des Zukunftspakts Pflege weitere kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen zur Fachkräftesicherung und Förderung der Fachkräfteanwerbung, zur Entbürokratisierung sowie Prozessoptimierung geprüft und gegebenenfalls in Gesetzgebungsverfahren eingebracht“, heißt es in dem Entwurf der Beschlussvorlage weiter.

Eckpunkte bis zum Jahresende

Den Vorsitz der BLAG hat das Bundesgesundheitsministerium in Person von Nina Warken. Neben dem BMG sind die für die Pflegeversicherung zuständigen Ministerinnen und Minister sowie Senatorinnen und Senatoren der Länder ebenso dabei wie die kommunalen Spitzenverbände: der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund.

Auch Vertreter des Bundesarbeitsministeriums, des Bundesfamilienministeriums, des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesfinanzministeriums sowie des Bundeskanzleramts nehmen an den Sitzungen teil.

Ziel des Zukunftspakts Pflege ist die Erarbeitung umsetzungsfähiger Eckpunkte für eine anschließende „große Pflegereform“. Die BLAG will sich im Jahr 2025 drei Mal zu Beratungs- und Beschlussterminen treffen: im Juli, Oktober und im Dezember.

Vorbereitet werden diese Treffen von zwei Facharbeitsgruppen in der Regel auf Abteilungsleitungsebene: von der Facharbeitsgruppe „Nachhaltige Finanzierung und Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung“ und der Facharbeitsgruppe „Nachhaltige Sicherstellung der Versorgung und Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege“.

Pflegeverbände sind nur in Workshops dabei

Die vom BMG geleiteten Arbeitsgruppen können themenbezogen Fachleute zu den Sitzungen hinzuziehen. Die Facharbeitsgruppen sollen spätestens eine Woche vor den jeweiligen Beratungsterminen auf Minister- beziehungsweise Senatorenebene Empfehlungen in Form von Eckpunkten für eine Pflegereform vorlegen.

„Den Wünschen nach inhaltlicher Einbeziehung weiterer maßgeblicher Organisationen aus dem Pflegebereich tragen wir Rechnung, indem unter Federführung des BMG nach Vorliegen der zwischen Bund und Ländern abgestimmten Eckpunkte Workshops zur inhaltlichen Erörterung der Eckpunkte, auch mit Blick auf eine bürokratiearme Umsetzung, durchgeführt werden“, wird in dem Papier betont.

Bereits während des Erarbeitungsprozesses sollen die Facharbeitsgruppen Anhörungen organisieren, „um den wichtigen Sachverstand der maßgeblichen Organisationen aus dem Pflegebereich einzubeziehen“.

Versicherungsfremde Leistungen prüfen

In der Beschlussvorlage wird detailliert aufgeführt, worüber die BLAG beraten möchte. Beim Bereich „Nachhaltige Finanzierung“ soll „die finanzielle Tragfähigkeit des Systems der Sozialen Pflegeversicherung nachhaltig verbessert, Effizienzpotenziale gehoben und eine Überlastung der Ausgabenseite verhindert werden.

Konkret soll unter anderem geprüft werden, ob Anreize für eine eigenverantwortliche Vorsorge gesetzt werden sollen. Geprüft werden soll zudem die „Verortung der im Koalitionsvertrag als versicherungsfremd bezeichneten Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Ausbildungsumlage“ sowie die Begrenzung der pflegebedingten Eigenanteile.

Im Bereich „Abschätzung eventueller Finanzfolgen“ stehen die Themen „Weiterentwicklung des Umlagesystems durch einen weiterentwickelten kapitalgedeckten Pflegevorsorgefonds“, „Verpflichtende individuelle Absicherung der privaten Eigenvorsorge in Kombination mit einem umlagebasierten Teilleistungssystem unter Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen“, „Aufzeigen des mittel- und langfristigen strukturellen Finanzierungsdefizits mit Stellschrauben auf der Ausgabeseite zur Reduzierung des Finanzbedarfs“ und „Prüfung der Einführung unterjähriger Liquiditätshilfen, um die SPV im Bedarfsfall zu unterstützen“ auf dem Programm .

Im Bereich „Nachhaltige Sicherstellung der Versorgung und Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege“ will die BLAG über den Leistungsumfang der SPV sprechen, über die Bündelung und Fokussierung der Leistungen und über die Schaffung von Angeboten für pflegerische Akutsituationen.

„Es ist dabei zu berücksichtigen, dass Fragen des Leistungszugangs und -umfangs angesichts von Über-, Unter- und Fehlversorgungen im System ergebnisoffen geprüft werden“, heißt es dazu.

Weitere Themenbereiche sind: „Gesundheit vulnerabler Gruppen gezielt stärken, Pflegebedürftigkeit verringern und Pflegepotenziale erhalten“, „Bürgernahe und gute pflegerische Versorgung in der Stadt und auf dem Land sicherstellen“ und „Datenlage, Monitoring und wirkungsorientierte Steuerung zielgerichtet verbessern.“

Der weitere Abbau von unnötiger Bürokratie und die stärkere Nutzung der Potentiale der Digitalisierung seien dabei als Querschnittsthemen in allen Themenbereichen regelhaft mit einzubeziehen.

Kritik von Pflegeverbänden

Das erste Treffen der BLAG wurde im deutschen Gesundheitssystem mit Spannung erwartet. Viele Pflege- und Sozialverbände begrüßten den Beginn des Zukunftspakts Pflege, kritisierten jedoch, dass die Vertreter der Pflege zu wenig in die Beratungen eingebunden seien.

„Zwar ist vorgesehen, die Praktiker aus der professionellen Pflege später im Rahmen von Workshops einzubeziehen, doch wie stark ihr tatsächlicher Einfluss dann sein wird, ist völlig offen“, kritisierte zum Beispiel Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des Verbands Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB), einem Dachverband mit etwa 1.800 Mitgliedsunternehmen.

„Das ist keine gute Idee. Wer eine zukunftsfähige Versorgungslandschaft entwickeln will, braucht von Anfang an das Erfahrungswissen aus der Praxis. Nur so lassen sich tragfähige und realistische Lösungen gestalten.“

Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, betonte die Tragweite der Aufgabe, die vor der BLAG liegt. „Der Reformbedarf in der Sozialen Pflegeversicherung ist riesig und die Aufgabe der Bund-Länder-Arbeitsgruppe alles andere als einfach. Dabei steht viel auf dem Spiel“, sagte sie. Eine gute pflegerische und gesundheitliche Versorgung sei auch ein wichtiger gesellschaftspolitischer Stabilitätsfaktor für die Menschen – und Stabilität sei in den aktuellen Zeiten besonders wichtig.

Voraussetzung für alle Reformvorhaben sei es dabei aber zunächst, der SPV durch die schnelle Absicherung ihrer finanziellen Tragfähigkeit eine Atempause zu verschaffen. Die aktuelle Haushaltsplanung des Bundes greife deutlich zu kurz und anstelle eines unzureichenden Darlehens brauche es eine zügige Erstattung der Pandemiekosten.

fos

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