„Es gibt unglaublich viele potentiell traumatisierende Situationen“
Berlin – Der medizinische Alltag hält für Mitarbeitende im Gesundheitswesen potentiell belastende Situationen bereit. Nach schwerwiegenden Ereignissen eine Anlaufstelle zu haben, um das Erlebte zu besprechen und zu verarbeiten, ist wichtig, aber noch zu wenig etabliert. Ein Münchner Verein will mit seinem Angebot diesem Problem begegnen.

5 Fragen an Andreas Igl, Geschäftsführer des PSU-Akut
Was ist Peer Support?
Peer Support bedeutet kollegiale Unterstützung. Peers, also Personen aus dem kollegialen Umfeld, bieten im Bedarfsfall niederschwellige, kompetente Hilfe und vermitteln – wenn nötig – weiterführende Hilfsangebote. Zum Peer ausbilden lassen können sich alle Mitarbeitenden im Gesundheitswesen.
Warum ist Peer Support wichtig?
Im medizinischen Alltag kommt es immer wieder zu besonderen Belastungssituationen, es gibt unglaublich viele potentiell traumatisierende Situationen. Das gehört leider zum Alltag der Kolleginnen und Kollegen. Indem wir uns mit Peer Support beschäftigen, wird dieses Thema sichtbar.
Die Erfahrungen aus vielen anderen Branchen zeigen auch: Wenn es um eigene Belastungen oder psychische Probleme geht, haben viele Menschen Schwierigkeiten, sich Hilfe zu holen. Zum einen aus Sorge, was nach einem solchen „Outing“ passiert, und zum anderen aus Unsicherheit darüber, was ein Psychologe oder eine Therapeutin vielleicht mit einem „veranstaltet“.
Vor diesem Hintergrund ist es wertvoll, jemanden zu haben, die oder der für den ersten oder auch den nächsten Schritt da ist. Und ganz besonders, wenn die Person diese oder ähnliche Situationen kennt und man ihr gar nicht viel erklären muss. Das vermittelt Sicherheit. Peers haben oft auch eine Lotsenfunktion und vermitteln die betroffene Person dorthin, wo es weitere Hilfe und Unterstützung gibt.
Was Peer Support außerdem sehr wertvoll macht: In dem Moment, in dem man dieses kollegiale Miteinander über den Peer Support offiziell und insgesamt mehr fördert, hat man die Chance, an der Kultur in der Klinik etwas zu verändern. Weil man nicht wegschaut, es nicht herunterschluckt, nicht vermeidet, nicht mit sich alleine ausmacht.
Es entstehen andere Möglichkeiten, sich damit auseinanderzusetzen. Deswegen ist uns auch wichtig, dass Peer Support nicht allein auf Situationen fokussiert, in denen es schon zu einer Belastung gekommen ist, sondern eine kollegiale Ansprechperson im besten Falle schon vorher sensibilisiert und informiert.
Welche Rolle hat die Pandemie im Hinblick auf arbeitsbezogene Belastungen und die Notwendigkeit von Peer Support gespielt?
Zum einen hat die Pandemie dieses Problem noch einmal verschärft, weil es eine Situation mit wenigen Ressourcen und wenig Personal war. Fehlende Ressourcen führen zu einer Mehrbelastung und erhöhen zudem das Risiko eines schwerwiegenden beziehungsweise traumatisierenden Ereignisses.
Darüber hinaus ist während der Pandemie noch einmal sichtbar geworden, dass der Gesundheitszustand und auch die mentale Gesundheit von Mitarbeitenden Auswirkungen auf die Patientensicherheit haben.
Vor diesem Hintergrund gibt es im Gesundheitswesen nun noch einmal eine höhere Sensibilität und ich glaube auch Bereitschaft, etwas zu tun, um besser auf Belastungssituationen vorbereitet zu sein und Mitarbeitende zu schützen.
Was empfehlen Sie Kliniken und Interessierten, die Peer Support etablieren wollen?
In einem ersten Schritt würde ich immer anbieten, wenn es zu Ereignissen kommt und Handlungsbedarf besteht, sich bei der Helpline zu melden – hier können wir sofort unterstützen. Darüber hinaus, wenn das Konzept beispielsweise in der Klinik eingeführt werden soll, ist es gut, zu schauen, wie man sich mit anderen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Einrichtungen und Kliniken vernetzen kann, die bereits mit Peer Support arbeiten. Eine Möglichkeit bietet zum Beispiel unser jährlich stattfindendes PSU-Symposium.
Ansonsten empfehlen wir, sich in einem ersten Schritt auf der Arbeitsebene zusammenzutun und gemeinsam Gedanken zu dem Thema zu machen. In einem zweiten Schritt sollten wichtige Leitungspersonen einbezogen werden, ebenso Stabstellen – zum Beispiel jemand aus dem Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz oder Personen aus dem Risiko- oder Gesundheitsmanagement. Gerade letztere haben oft auch Ideen, wie sich so ein Vorhaben finanziell stützen lässt, welche Fördergelder es beispielsweise gibt. Unser Verein PSU Akut steht darüber hinaus für Fragen und Unterstützung bei der Einführung von Peer Support zur Verfügung.
Welche Expertise stellen Sie zur Verfügung und wie helfen Sie im Bedarfsfall?
Seit zehn Jahren bieten wir psychosoziale Unterstützung für Mitarbeitende im Gesundheitswesen an; mittlerweile haben wir mit etwa 40 Kliniken gearbeitet und 650 Peers ausgebildet. Im Bereich der Akuthilfe für Gesundheitseinrichtungen und der PSU-Helpline hatten wir in den vergangenen Jahren über 2.800 Beratungskontakte.
Im Verein arbeiten in kollegialer Unterstützung ausgebildete Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte, Medizinische Fachangestellte, psychosoziale Fachkräfte und approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten. Darüber hinaus gehören Führungskräfte und Personalverantwortliche aus dem Gesundheitswesen zum Teil des Teams. PSU bietet Akutinterventionen, Vorsorge, Schulungen und Forschung im Bereich Psychosozialer Unterstützung im Gesundheitswesen.
Peers lernen in ihrer Ausbildung, Einzelgespräche mit belasteten Kolleginnen/Kollegen zu führen sowie Psychosoziale Fachkräfte bei Teaminterventionen zu unterstützen. In einem Modul für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden zudem Kompetenzen für Kurzschulungen und Informationsveranstaltungen vermittelt.
Über die kostenfreie bundesweite Helpline erreichen Mitarbeitende im Gesundheitswesen zudem täglich kollegiale Ansprechpartnerinnen und -partner. Das Angebot richtet sich nicht nur an belastete Kolleginnen und Kollegen, sondern auch an ausgebildete Peers – als Rückfallebene, wenn sie beispielsweise in einer Beratung nicht weiterkommen oder selbst belastet sind durch ein Gespräch.
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