Politik

Ethikrat analysiert Defizite bei der Pandemiebekämpfung

  • Donnerstag, 27. Mai 2021
/OSORIOartist, stock.adobe.com
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Berlin – Um künftig effizient mit Pandemien umzugehen, sind längerfristige Perspektiven notwendig, die über die Coronakrise hinausweisen, meint der Deutsche Ethikrat. Gemeinsam mit Experten aus Kanada, dem Vereinigten Königreich und Norwegen diskutierte das interdisziplinär besetzte Ethikgremium des­halb heute im Rahmen einer öffentlichen Anhörung internationale Perspektiven der Pandemieprävention und -bewältigung.

„Wir dürfen nicht nur unsere nationale Perspektive betrachten“, sagte Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, zur Eröffnung der virtuellen Tagung. „Pandemien sind globale Ereignisse. Wenn wir zukünftig besser auf sie vorbereitet sein wollen, müssen wir international noch mehr voneinander lernen.“ Dafür brauche man eine ehrliche Rückschau und eine zukunftsorientierte Aufarbeitung.

Im Austausch mit internationalen Sachverständigen wolle man deshalb aus den konkreten und unter­schiedlichen Erfahrungen der Länder mit der COVID-19-Pandemie lernen und das Spannungsfeld zwi­schen nationalstaatlichen Interessen und den Postulaten globaler Gerechtigkeit und Solidarität unter­suchen, betonte die Ärztin und Medizinethikerin.

Einig waren sich die Experten heute darin, dass die Bewältigung einer Pandemie internationaler Trag­weite nachhaltig nur durch das weltweite Zusammenwirken einer Vielzahl von Akteuren gelingen kann. Dies sei in der Vergangenheit aber zu wenig berücksichtigt worden. Ross Upshur, Professor für öffentli­che Gesundheit an der Universität von Toronto, Kanada, wies in diesem Zusammenhang auf die ständige Wiederkehr solcher Situationen hin.

„Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns in einer Pandemie befinden“, sagte er mit Blick auf das Zikavirus oder Ebola. Offensichtlich habe man aber nichts gelernt, sondern befinde sich in einer „kollektiven Nar­ko­­lepsie“, bemängelte Upshur. „Wir haben lediglich die Schlummerfunktion unseres Weckers akti­viert“, kritisierte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu „Ethik und CO­VID-19“. Künftig müsse insbesondere die öffentliche Kommunikation ethischer Empfehlungen und ihre Umsetzung in der klinischen Praxis verbessert werden.

Sir Jonathan Montgomery, Professor für Gesundheitsrecht am University College London, räumte auch Probleme mit der öffentlichen Legitimation von Entscheidungen im Rahmen der Pandemie in Groß­bri­tan­nien ein. „Bis 2019 sind wir davon ausgegangen, dass Großbritannien hervorragend auf eine Pan­de­mie vorbereitet ist“, sagte der Vorsitzende einer Arbeitsgruppe zu ethischen Fragen der COVID-19-Pan­demie der briti­schen Regierung.

Dennoch habe es im Vereinigten Königreich Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung ethischer Empfeh­lungen in politische Entscheidungen gegeben. Dies ist ihm zufolge darauf zurückzu­führen, dass viele wissenschaftliche und ethische Beratungsgremien unter hohem Zeitdruck und nur un­zu­reichend koor­diniert aktiv geworden sind. „Es gibt aber auch komplexe Entscheidungen, die in der Kürze der Zeit ein­fach nicht öffentlich zu diskutieren sind“, sagte er.

Felix Stein vom Zentrum für Entwicklung und Umwelt an der Universität Oslo, Norwegen, hob die glo­bale Bedeutung des Gedankens der Covax-Initiative hervor, die 2020 von der WHO, der Europäischen Kommission und der französischen Regierung gestartet wurde, um auch ärmeren Ländern den zügigen Zugang zu COVID-19-Impfstoffen zu sichern.

„Niemand ist in der Pandemie sicher, bevor nicht alle sicher sind“, betonte er. Es sei wichtig für alle, dass nicht nur reichere Länder Zugang zu den Impfstoffen hätten. Dieser Gedanke der Initiative werde jedoch teilweise durch bilaterale Impfstoffeinkaufsabkommen untergraben und diene mitunter sogar der Sub­ven­tionierung pharmazeutischer Unternehmen. „Schlüsselakteure haben immer noch zu viel Macht“, sagte er. Sein Fazit: Wir brauchen einen neuen inter­nationalen Denkrahmen.“

ER

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