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EU-Coronabericht: Mehr Solidarität gegen künftige Pandemien

  • Freitag, 7. Juli 2023
/PhotoGranary, stock.adobe.com
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Berlin – Die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) müssen sich besser auf eine mögliche nächste Pandemie vorbereiten als bisher. Das geht aus dem Abschlussbericht des Sonderausschusses zu den Erkenntnissen aus der COVID-19-Pandemie (COVI) hervor.

Insbesondere Beschäftigte im Gesundheits­wesen und Risikogruppen müssen demnach in Zukunft besser ge­schützt werden. Die Gesundheitsversorgung in der EU muss zudem unabhängiger werden und auf einem ho­listischen strategischen Ansatz beruhen, um besser auf eine mögliche weitere Pandemie vorbereitet zu sein.

Der Bericht stammt vom durch das Europäische Parlament eingesetzten Sonderausschuss zur Auswertung der Coronapandemie. Er hatte seine Arbeit im März 2022 aufgenommen und die Aufgabe, die Pandemiebewälti­gung auf EU-Ebene zu evaluieren sowie darauf aufbauend Ratschläge zu entwickeln, wie die EU sich auf künftige Gesundheitskrisen vorbereiten kann.

Sein Urteil fällt durchwachsen aus. „Die EU war, wie der Rest der Welt, nicht darauf vorbereitet, mit einer so beispiellosen Gesundheitskrise umzugehen“, heißt es in dem Bericht, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Gerade zu Beginn seien viele Fehler gemacht worden.

„Nach einem langsamen Start hat die EU dann jedoch mit allen Instrumenten reagiert, die ihr zur Verfügung stehen, und es ist klar, dass ihre Führung, speziell bei der Entwicklung von Impfstoffen bei gleichzeitiger Koordination von gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen, entscheidend dafür war, Millionen von Menschenleben zu retten.“

Das EU-Impfstoffstrategie und die Förderung einer schnellen Impfstoffent­wick­lung seien Gamechanger gewesen, weshalb der Ausschuss auffordert, diese Programme zu verstetigen und dabei die Transparenz bei Entwicklung, Herstellung und Verteilung von Impfstoffen zu verbessern – aber auch dafür zu sorgen, dass die EU künftig günstigere Verträge mit Impfstoffherstellern abschließt. „Die EU ist nun in einer Position, aus ihren Fehlern zu lernen“, heißt es im Bericht.

Dabei griff der Ausschuss auch den Streit um Impfstoffpatente auf. Zwar würden diese den Herstellern einen Anreiz zur Entwicklung neuartiger Impfstoffe geben, gleichzeitig jedoch einen negativen Effekt auf die Markt­mechanismen haben und so deren Verfügbarkeit einschränken.

Deshalb unterstreicht der Bericht, dass „die öffentliche Hand in Krisenzeiten und zum Schutz der öffentlichen Gesundheit sowie von Menschenleben künftig in der Lage sein sollte, in dieses System einzugreifen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die Verfügbarkeit von Diagnostika, Präventionsmitteln und Therapien sowie der Versorgung für jedermann sicherzustellen“.

Wenn das Europaparlament den Bericht kommende Woche diskutiert und über ihn abstimmt, wird dieser Punkt voraussichtlich zu den Streitthemen gehören, erklärte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese heute in Brüs­sel. „Die Bottlenecks waren nicht die Patente“, wendet er ein. Er unterstütze zwar den Ansatz von möglichen Patenteinschränkungen im Krisenfall. „Wir wollen das aber nicht ausweiten und das geistige Eigentum ab­schaffen.“

Liese fordert vor allem einen Ausbau der neuen EU-Behörde für die Krisenvor­sorge und Krisenreaktion bei ge­sundheitlichen Notlagen (Hera), um künftig beispielsweise die Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln im akuten Krisenfall besser beschleunigen zu können. Nicht nur brauche sie mehr Geld – im aktuellen EU-Haushalt sind 1,3 Milliarden Euro für das laufende Jahr vorgesehen. „Auch die Entscheidungsstrukturen sind noch nicht genau so, wie wir uns das vorstellen“, sagte Liese.

In den USA beispielsweise gebe es solche Strukturen bereits und das habe sich ausgezahlt. Nicht nur hätten sie die Entwicklung hoch effektiv beschleunigt, auch die Unterschiede in den Produktionskapazitäten hätten sich bemerkbar gemacht. Während Impfstoffe in Europa noch bis weit in den Sommer 2021 rationiert gewesen seien, hätten die USA über keinen Mangel klagen können.

Das ist jedoch auch eine Verteilungsfrage – und hier übt der Sonderausschuss deutliche Kritik. Es sei zu be­dau­ern, dass viele Mitgliedstaaten die Solidarität hätten vermissen lassen, die es für so eine umfassende Krise in einem so stark integrierten Raum wie der EU gebraucht hätte.

Nicht nur habe es zu Beginn an Unterstützung für die Staaten gefehlt, die in den ersten Infektionswellen stark getroffen wurden. Auch seien Pandemiebekämpf­ungs­maßnahmen und -strategien oftmals nicht abgestimmt gewesen.

Der Ausschuss „missbilligt daher den anfänglichen Mangel an Kooperation und Koordination zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich der Freizügigkeit unentbehrlicher Güter, inklusive persönlicher Schutzausrüstung und medizini­scher Ausstattung, sowie die Lieferausfälle quer durch den europäischen Binnenmarkt in den ersten Monaten der COVID-19-Pandemie“.

Die Krise habe dabei bereits existierende strukturelle Mängel deutlich gemacht und verstärkt. Das gelte spe­ziell für die Unterfinanzierung vieler Gesundheits­wesen, die Fragilität primärer Gesundheitsversorgung, einen Mangel an angemessenen Überwachungsstrukturen sowie Engpässe sowohl bei Fachkräften als auch bei Arzneimitteln und Medizinprodukten.

All das habe zum Burnout vieler Bediensteter im Gesundheitswesen geführt. Der Ausschuss „erkennt an, dass viele Bedienstete im Gesundheitswesen und in der kritischen Infrastruktur sowie Freiwillige ihre Gesundheit und ihr Leben geopfert haben, um die europäische Bevölkerung während der Pandemie zu schützen“.

Es müsse deshalb eine Lehre sein, dass es zur Pandemievorbereitung gehöre, in Gestaltung und Umsetzung sämtlicher Gesundheitspolitik der EU künftig auch die Arbeitsbedingungen sowie vor allem die Sicherheit von Beschäftigten im Gesundheitswesen stets mit zu berücksichtigen. Ähnliches gelte für Risikogruppen wie Chroniker oder alte Menschen.

Als Lösung sieht der Ausschuss vor allem eine stärkere Integration der Gesund­heits­politik in der EU. Er „glaubt, dass Gesundheitsförderung sowie Prävention, Vorbereitung und Reaktion auf existierende und zukünftige grenzüberschreitende Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit eine der Grundlagen der Europäischen Gesundheitsunion werden müssen“.

Dabei müsse die EU bei ihren Vorbereitungen auf eine mögliche weitere Gesundheitskrise und darüber hinaus künftig mehr Wert darauf legen, die Resilienz, die Qualität und den gleichen Zugang zu den Gesundheitssyste­men der EU für alle Einwohner zu stärken – auch für Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen außer­halb der EU sowie für den globalen Süden.

lau

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