Fachgesellschaften plädieren für „Body Neutrality“ statt „Body Positivity“

Gera – „Body Neutrality“ anstelle von „Body Positivity“ – dafür plädierten gestern Vertreterinnen der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) und der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen (DGESS) anlässlich des gemeinsamen Jahreskongresses in Gera.
Das Konzept der „Body Neutrality“ setzt auf eine gesunde Körperfunktion anstelle ästhetischer Ideale. Selbst ein Gewichtsverlust von nur fünf bis zehn Prozent könne sich laut der Weltgesundheitsorganisation bereits positiv auf die Gesundheit auswirken, sagte Claudia Luck-Sikorski, Psychologische Psychotherapeutin, Präsidentin der SRH Hochschule für Gesundheit am Campus Gera und DAG-Vorstandsmitglied. Am Erscheinungsbild ändere eine Gewichtsreduktion von bis zu zehn Prozent aber wahrscheinlich noch nichts.
Jeder Mensch mit Adipositas hätte schon mindestens einmal versucht, abzunehmen, so Luck-Sikorski. Dabei würde auch der Wunsch nach Attraktivität als Grund genannt. Um ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper zu erreichen, sollte anstelle des Aussehens aber dessen Funktion im Mittelpunkt stehen.
Langzeiteffekte schwer abschätzbar
„Zwar gibt es auch metabolisch gesunde Adipöse sowie metabolisch kranke Normalgewichtige“, ergänzte Christine Stroh, Chefärztin der zertifizierten Klinik für Adipositas und Metabolische Chirurgie am Wald-Klinikum Gera und Vorstandsmitglied der DAG.
Man könne aber nicht mit jedem Gewicht gesund sein. Bei einem zu hohen oder zu niedrigen Body-Mass-Index käme es etwa zu Vitaminmangel, ohne dass bereits Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Hypertonie auftreten müssten. „Im Bezug auf die Karzinomentstehung bei chronischer Adipositas können wir Langzeiteffekte noch nicht abschätzen“, warnte Stroh.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) hatten erst kürzlich vor der unterschätzen Gefahr von Übergewicht als maßgeblichen Risikofaktor für Krebs gewarnt. Fast sieben Prozent der Krebsneuerkrankungen in Deutschland gingen auf das Konto von Übergewicht, insbesondere von Fettleibigkeit Das Deutsche Ärzteblatt hat berichtet.
Neue Therapien, wie etwa die Adipositaschirurgie, setzen ebenfalls nicht allein auf die Gewichtsreduktion. Auch eine bessere diabetische Stoffwechsellage sei relevant, erklärte Stroh.
Die Body-Positivity-Bewegung komme vor allem aus dem Bereich der Adipositas und des Übergewichts, erklärte Astrid Müller, Vorstandsmitglied der DGESS und leitende Psychologin an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover.
Es handle sich um eine verständliche Schutzreaktion auf die weit verbreitete Stigmatisierung der Betroffenen, von der jedoch ebenso Menschen mit Untergewicht betroffen seien. Auch wenn es bei der Body Positivity viele positive Aspekte gebe, sei die Body Neutrality das überlegene Konzept, betonten die Expertinnen der DAG und der DGESS.
„Auch bei extremem Untergewicht und Anorexie ist ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper von zentraler Bedeutung in der Behandlung und in der Vermeidung der Erkrankungen“, ergänzte die Psychologin Müller. „Wenn wir als Gesellschaft weniger auf Schönheitsideale fokussiert sind, sondern den Erhalt der gesunden Körperfunktion in den Vordergrund rücken, ist viel gewonnen“, so Müller.
Body-Positivity legt Fokus auf Aussehen
Zwar hat die Body-Positivity-Bewegung eine größere Vielfalt von Körpertypen in die öffentliche Wahrnehmung gebracht, dennoch bleibt eine starke Betonung des Aussehens bestehen. Die Anforderung, den eigenen Körper stets zu lieben, ist für viele Menschen entmutigend, besonders wenn sie in Wahrheit nicht völlig zufrieden mit ihrem Aussehen sind. Zudem kann die bedingungslose Selbstliebe auch dazu beitragen, Gewichtsstörungen zu verharmlosen.
Die Body Neutrality sei inklusiver, da die Wertschätzung für den eigenen Körper hier losgelöst von ästhetischen Gesichtspunkten erfolge, heißt es in der DAG-Pressemitteilung. Dadurch werde der Körper nicht länger als Objekt der Schönheitsvorstellungen betrachtet.
Es gehe vielmehr um die Wertschätzung des eigenen Körpers auf der Grundlage dessen, was er zu leisten vermag. Diese Betrachtungsweise kann Prävention und Therapie von Essstörungen und Adipositas erleichtern und die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Betroffenen verbessern, sind Vertreterinnen der DAG und DGESS überzeugt.
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