Vermischtes

Weltweiter Anstieg von Essstörungen nach der Coronapandemie

  • Montag, 9. September 2024
/weixx, stock.adobe.com
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Tübingen – Essstörungen haben bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen in Europa, Nordamerika, Asien und Australien seit der COVID-19-Pandemie stark zugenommen.

Das zeigen internationale Daten auf die Stephan Zipfel, ärztlicher Direktor der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medi­zinischen Universitätsklinik Tübingen, anlässlich des 27. Weltkon­gresses für Psychosomatik hinweist, dessen Kongresspräsident er ist.

Demnach sind global bis zu 8,4 Prozent der Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren und bis zu 2,2 Prozent der Männer im selben Alter an einer Essstörung erkrankt – auch in Deutschland wachse die Zahl der Betroffenen.

„Allerdings stiegen Essstörungen schon vor der Pandemie an, und dieser Trend setzt sich auch nach deren Ende fort“, betonte Zipfel. Laut Global Burden of Disease Report lebten bereits vorher weltweit nahezu 42 Millionen Menschen mit einer Essstörung.

Der Psychosomatikprofessor verweist für Deutschland auf eine groß angelegte Studie, die einen Anstieg der Krankenhauseinweisungen von jungen Patientinnen und Patienten speziell mit Anorexia nervosa um 40 Pro­zent im Jahr 2021, dem ersten Jahr nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie zeigt.

Aus den USA lägen ähnliche Zahlen über einen massiven Anstieg von Essstörungen um sogar 15,3 Prozent während der Pandemie vor. Besonders von Anorexia nervosa betroffen seien heranwachsende Mädchen (Lancet 2022: DOI: 10.1016/S2215-0366(21)00435-1).

Den Grund für den sprunghaften Anstieg von Essstörungen während der Pandemie sieht Zipfel in der starken Einschränkung sozialer Kontakte. „Die räumliche und soziale Isolation innerhalb der Kernfamilien förderte Konflikte und Stress, was für vulnerable Gruppen besonders belastend war.“

Gleichzeitig konnten Schulen ihrer sozialen Funktion nicht ausreichend nachkommen. „Ein persönlicher Kon­takt mit außerfamiliären Vertrauenspersonen wie sozialpädagogischem oder Lehrpersonal fehlte. Auch Bera­tungs- und Behandlungsangebote fielen aus, die psychische Probleme hätten frühzeitig adressieren können", erklärte der Arzt.

Dass Essstörungen massiv weiter ansteigen, beobachtet der Direktor des Kompetenzzentrum für Essstörungen (KOMET) am Universitätsklinikum Tübingen auch nach Abklingen der Pandemie.

„Wir sehen eine kontinuierliche Zunahme von Patientinnen und Patienten mit komplexen und schwerwiegen­deren Formen von Essstörungen – nicht nur in der Hauptbetroffenengruppe junger Mädchen, sondern in allen Altersklassen“, sagte Zipfel. Neueste Zahlen ließen zudem den Schluss zu, dass Essstörungen insgesamt eine viermal höhere Prävalenz aufweisen als ursprünglich angenommen.

Auf der Suche nach den Ursachen für die generelle Zunahme von psychischen Erkrankungen bei jungen Men­schen seit etwa 20 Jahren vor allem in Industrienationen weisen Patrick McGorry, Kinder- und Jugendpsychia­ter aus Melbourne/Australien zusammen mit weiteren Autoren in „The Lancet Psychiatry Commission on youth mental health“ auf globale Phänomene hin (Lancet 2024; DOI: 10.1016/S2215-0366(24)00163-9).

Dazu zählen demnach unter anderem langanhaltende gesellschaftliche Veränderungen wie steigende inter­generationelle Ungleichheit oder unregulierte soziale Medien, aber auch Kriege oder der Klimawandel. „Diese Entwicklungen führen zu steigendem Disstress, zu Entfremdung und vermehrter Einsamkeit“, kommentierte Psychosomatiker Zipfel.

PB

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