Fast jede zweite Hebamme betreut drei Gebärende gleichzeitig

Osnabrück – Die Geburtshilfe in Deutschland leidet unter großem Personalmangel. Das hat Konsequenzen für die Versorgungsqualität und die Arbeitsbedingungen der Hebammen. Beides zeigen zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegen.
Die Gutachten hatte Sabine Zimmermann (Linke), Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, angefordert. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages fasst darin die verschiedenen Sachstände, Gutachten und Informationen zur Geburtshilfe in Deutschland auf Bundes- und Landesebene zusammen.
Im ersten Gutachten wird unter Verweis auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2015 unter 1.700 Hebammen in Deutschlands Entbindungsstationen darauf hingewiesen, „dass sich fast die Hälfte der Hebammen um drei Frauen gleichzeitig während der Geburt kümmert“. Die medizinischen Fachgesellschaften für die stationäre Geburtshilfe empfehlen eine Eins-zu-Eins-Betreuung.
In Sachsen mussten demnach in Intensivschichten 30 Prozent der Hebammen „mehr als vier Gebärende“ betreuen. In Bayern hatten nur sechs von 100 Frauen eine Hebamme für sich und ihr Neugeborenes. Um den Betreuungsschlüssel zu verbessern, „fehlten schlichtweg die Hebammen“, so das Gutachten. Um freie Stellen zu besetzen, brauchen die Kliniken oft ein halbes Jahr oder noch länger.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Klagen über Überlastung gab es aus allen untersuchten Bundesländern. In Baden-Württemberg berichteten den Gutachten zufolge sieben von zehn Hebammen, in den zurückliegenden fünf Jahren sei ihre Arbeitszeit „deutlich oder sehr deutlich“ angestiegen. Mehr als die Hälfte der angestellten Hebammen in Sachsen gab an, Frauen nicht so betreuen zu können, wie sie es für richtig hielten. Jede vierte Fachkraft erwägt, deswegen den Beruf aufzugeben.
„Die Ergebnisse der Gutachten sind erschreckend“, sagte Zimmermann. Seit Jahren sei die deutsche Geburtshilfe unterfinanziert. Grund dafür sei die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, verschärft durch das System der diagnosebezogenen Fallpauschalen. „Diese Politik ist auf ganzer Linie gescheitert“, so Zimmermann.
Sie warnte vor einem Teufelskreis. „Hebammen werden händeringend gesucht, zumal die Geburtenzahlen steigen. Doch von schlechten Arbeitsbedingungen werden Hebammen in die Teilzeit oder ganz aus dem Beruf getrieben. Zugleich fehlt das Geld für neue Stellen“, so ihre Diagnose. Darunter leide die Versorgungsqualität.
Zimmermann betonte, dass werdende Eltern für sich und ihre neugeborenen Kinder nicht nur eine optimale medizinische Versorgung, sondern auch eine professionelle Begleitung während der Geburt benötigen. Das sei „nur mit einer Eins-zu-Eins-Betreuung möglich.“
Die Bundesregierung hatte zuletzt einen generellen Hebammenmangel verneint. Es lägen „keine verlässlichen Daten“ dazu vor, die die „pauschale Annahme“ eines „akuten Mangels“ belegen würden, hieß es im Juli in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag.
Verschiedene Bundesländer hätten Gutachten in Auftrag gegeben, um die Versorgungslage auf einer soliden Datenbasis berurteilen zu können. „Dabei kommt ein Teil der Länder zu dem Ergebnis, dass es keine Probleme bei der Hebammenversorgung gibt. Andere Länder bejahren einen Engpass in bestimmten Regionen“, so die Bundesregierung.
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