Kassenlager streiten um Sondergutachten zum Risikostrukturausgleich

Berlin – Auch nachdem der Wissenschaftliche Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs (RSA) beim Bundesversicherungsamt (BVA) ein Gutachten vorgelegt hat, wie der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) weiterentwickelt werden kann, behaken sich die Krankenkassen. Ersatzkassenverband (vdek), BKK Dachverband und IKK e.V. drohen nun mit dem Gang vors Kartellgericht.
Alle drei forderten die Politik heute in einer gemeinsamen Mitteilung auf, die Reform des Finanzausgleichs auf die politische Agenda zu nehmen. „Mit kurzfristigen Lösungen muss ein einfaches, transparentes und dadurch auch manipulationssicheres Verfahren im RSA durchgesetzt werden. Gelingt dies nicht, werden sich wohl bald Kartellrichter um regionale AOK-Monopolisten kümmern müssen“, heißt es darin wörtlich.
Kritik am Vollmodell
Sie monieren, die Gutachtenzusammenfassung gebe keine Antworten darauf, wie die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen kurzfristig behoben werden könnten. Die Empfehlungen der Gutachter zur Einführung eines „Vollmodells“, bei dem alle – statt wie bisher 80 – Krankheiten im Morbi-RSA berücksichtigt werden, befeuerten vielmehr in der Praxis die finanzielle Schieflage noch.
Mit diesem Ansatz würde noch mehr Geld in Richtung AOKs gelenkt – sie könnten ihre Monopolstellung in den Bundesländern weiter ausbauen. Zudem würde der Morbi-RSA noch manipulationsanfälliger, denn die Vielzahl neuer leichter Erkrankungen böte einen größeren Spielraum für Upcoding-Strategien, so die drei Kassenverbände, die zusammen rund 44 Millionen Menschen in Deutschland versichern.
Der AOK Bundesverband reagierte mit Unverständnis. „Alle Kassenarten und Kassen wollten eine umfassende wissenschaftliche Evaluation des Morbi-RSA und haben mit eigenen Untersuchungsvorschlägen die Analyse unterstützt. Jetzt liegt das gewünschte Sondergutachten des unabhängigen Expertengremiums auf dem Tisch, aber die Entwertungsstrategie von Ersatzkassen, Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen geht munter weiter“, bemängelte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands. Er warf den drei Kassenverbänden vor, die Arbeit des Wissenschaftlichen Beirats und auch die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums, dieses Gutachten in Auftrag zu geben, zu diskreditieren.
Die Behauptungen der Kassenverbände zum Vollmodell nannte Litsch „eine Falschaussage“. Die Experten hätten bestätigt, dass mit Einführung eines Vollmodells die Manipulationsresistenz des Ausgleichs nicht geschwächt, sondern gestärkt werde und Risikoselektionsanreize abgebaut würden, so Litsch. Der Beirat habe in seinem Sondergutachten auch klargestellt, dass die Finanzsituation einzelner Krankenkassen nicht über den Morbi-RSA erklärbar sei. Er forderte die künftige Regierungskoalition auf, sich auf die wissenschaftliche Expertise zu stützen.
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