Politik

Finanzministerium verteidigt EU-Corona-Fonds

  • Dienstag, 26. Juli 2022
Bundesverfassungsgericht
/picture alliance, Sebastian Gollnow

Karlsruhe – Die Bundesregierung hat die gemeinsame Schuldenaufnahme für den Hunderte Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds der Europäischen Union (EU) verteidigt. So etwas wie die Coronakrise habe man noch nicht gesehen, sagte Finanzstaatssekretär Werner Gatzer heute vor dem Bundesverfassungsgericht (VerfG) in Karlsruhe.

Er erinnerte an die dramatische Entwicklung im Frühjahr 2020. Damals sei in vielen europäischen Staaten das öffentliche Leben heruntergefahren worden, mit immensen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswir­kungen. Ein entschlossenes gemeinsames Handeln sei in dieser Situation notwendig gewesen. Schon die An­kündigung habe positive Effekte gehabt und für Beruhigung gesorgt.

Das Aufbauprogramm mit dem offiziellen Namen „Next Generation EU“ soll den Mitgliedstaaten helfen, wie­der wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. Vereinbart wurde ein Volumen von bis zu 750 Milliarden Euro zu Preisen von 2018. Berücksichtigt man die Inflation, sind das inzwischen knapp 807 Milliarden Euro.

Das Geld wird an den Kapitalmärkten aufgenommen und soll bis spätestens Ende 2058 zurückgezahlt sein. Die einzelnen Staaten bekommen es teils als Darlehen, teils als Zuschüsse. Sie sollen die Mittel vor allem für den Klimaschutz und die Digitalisierung einsetzen.

Die größten Summen gehen an besonders hart getroffene Länder wie Italien und Spanien. Deutschland rech­net mit Zuschüssen von fast 26 Milliarden Euro netto. Gleichzeitig ist es laut Bundesrechnungshof mit voraus­sichtlich rund 65 Milliarden Euro der größte Nettozahler.

Die Kläger halten das für hochproblematisch. Deutschland gerate über Jahrzehnte hinaus in einen Schulden­sog, dessen Dynamik unabsehbar sei, warnte Hans-Detlef Horn, der das „Bündnis Bürgerwille“ um den eins­tigen AfD-Gründer Bernd Lucke vertritt. Durch das Programm werde der normale Unionshaushalt um 70 Pro­zent erhöht. In Wirklichkeit würden Finanzmittel von reicheren auf schwächere Länder umverteilt.

Der Unternehmer Heinrich Weiss, der hinter einer zweiten Verfassungsbeschwerde steht, sagte, die neue Qua­li­tät liege in dem gewaltigen Volumen, der unbegrenzten Haftung, der langen Laufzeit und der unzureichen­den Kontrolle.

Die Rückzahlung müssten die nächsten Generationen leisten – die wirtschaftliche Entwicklung könne aber niemand vorhersehen. Sein Bevollmächtigter Christoph Degenhardt forderte das Gericht auf, diesem „Damm­bruch“ entschieden entgegenzutreten. Der Eintritt in eine Schuldenunion sei weder in den europäischen Ver­trägen noch im Grundgesetz vorgesehen. Die Kläger sehen unkalkulierbare Risiken für den Bundeshaushalt.

Tatsächlich ist vereinbart, dass sich die EU-Kommission an die anderen Mitgliedstaaten halten darf, falls einzelne Regierungen ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können oder wollen.

Im Eilverfahren hatten die Verfassungsrichter die deutsche Beteiligung erst einmal ermöglicht. Denn ein Stopp hätte wirtschaftlich und politisch viel Schaden angerichtet. Aus der Entscheidung vom 15. April 2021 geht aber hervor, dass die Möglichkeit eines Verfassungsverstoßes durchaus im Raum steht. Im Einzelnen wird das nun im Hauptverfahren geprüft.

Wegen des Wiederaufbaufonds sind fünf Verfassungsbeschwerden und eine Organklage der AfD-Bundestags­fraktion in Karlsruhe anhängig. Zur Verhandlung wurden die Klagen von Weiss und dem Lucke-Bündnis aus­gewählt. Es hat knapp 2.300 Unterstützer.

Sollte der Zweite Senat unter Vizegerichtspräsidentin Doris König die Bedenken teilen, wäre er verpflichtet, als nächsten Schritt den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg einzuschalten. Für Mittwoch ist ein zweiter Verhandlungstag angesetzt. Mit dem Urteil dürfte in einigen Monaten zu rechnen sein (Az. 2 BvR 547/21 u.a.).

dpa

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