Flash-Bestrahlung könnte radiotherapiebedingte Nebenwirkungen reduzieren

Berlin – Eine ultraschnelle Bestrahlung mit hohen Strahlendosen ist präklinischen Studien zufolge ebenso wirksam wie eine herkömmliche Radiotherapie, schont dabei aber das umliegende, nicht vom Tumor befallene Gewebe noch besser.
So beschrieb Udo Gaipl, der Leiter der Translationalen Strahlenbiologie an der Strahlenklinik der Universitätsklinik in Erlangen, die Flash- oder Blitz-Radiotherapie auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) auf dem Deutschen Krebskongress.
Im Rahmen der Flash-Radiotherapie gelingt es, in extrem kurzer Zeit Dosisraten zu verabreichen, die mehrere Hundert bis Tausend Mal höher sein können als die derzeit bei Routinebehandlungen verwendeten Dosen, wie ein Beispiel verdeutlicht.
Will man eine Dosis von 30 Gray (Gy) applizieren, so dauert dies bei einer Rate von 2Gy pro Minute eine Viertelstunde. Mittels Flash benötigt man dafür jedoch dank einer Rate von 40Gy/sec nicht einmal eine Sekunde. Der Flash-Effekt meint dabei insbesondere die derzeit noch fast ausschließlich tierexperimentelle Beobachtung, dass hier bei gleichen Wirkstärken weniger Strahlenschäden am normalen Gewebe entstehen.
Das ist entscheidend, da man in der Regel im Inneren des Körpers gelegene Tumoren treffen will, so dass die Strahlung, die die DNA des Tumors angreifen und schädigen soll, zwangsläufig durch gesunde Strukturen hindurchgeht. „Das heißt: bei gleicher Wirkung kommt es zu deutlich weniger Nebenwirkungen“, betonte der Erlanger Strahlenbiologe.
Eine der erklärenden Hypothesen dafür besagt, dass hohe Dosisleistungen die Bildung schädigender, reaktiver Sauerstoffradikale (ROS) reduzieren. Gaipl führte als weitere Beobachtung an, dass wegen der verringerten Bestrahlungszeit die im Blut zirkulierenden Immunzellen seltener und weniger der schädigenden Strahlung ausgesetzt sind.
„Es gibt daher sogar Hinweise, dass die Kombination von Flash zusammen mit den modernen Immuntherapien effektiver sein könnte“, führte er aus. Die schonende Wirkung manifestiert sich offenbar auch in der Hämatopoese. So behielten hämatopoetische Stamm- und Vorläuferzellen von Flash-bestrahlten Mäuse weiterhin die Fähigkeit, die Blutbildung zu rekonstruieren.
Einräumen musste Gaipl, der zugleich stellvertretender Vorsitzender der AG Experimentelle Radioonkologie der DEGRO ist, dass rund 95% der Studiendaten präklinische Daten sind. Gleichwohl seien bereits publizierte Einzelfallberichte ermutigend und zum Teil spektakulär, wie er am Beispiel eines multiresistenten kutanen Lymphoms erläuterte.
Der Tumor sprach vollständig und dauerhaft auf die Flash-Therapie an. Als Nebenwirkung wurde lediglich ein mäßiges und vorübergehendes Ödem in den umliegenden Weichteilen beschrieben (Radiother Oncol 2019; DOI: 10.1016/j.radonc.2019.06.019).
Derzeit würden klinische Studien aufgelegt und Studienprotokolle konzipiert, die sich vor allem auf die Therapie von Hauttumoren konzentrieren, berichtete Gaipl. Wer in die Datenbank für registrierte Studien clinicaltrials nach Flash-Studien sucht, findet, dass offenbar auch andere Tumorentitäten ein Ziel der ultrakurzen Hochdosisbestrahlung sind, unter anderem Knochenmetastasen unterschiedlichster Primärtumoren.
Zu den die Radioonkologen in diesem Zusammenhang besonders interessierenden Malignomen zählen auch Glioblastome, bösartige Hirntumore, vor denen bisher jede medizinische Disziplin die Waffen strecken musste. Das liegt daran, dass zum einen nahezu jede noch so kleine Raumforderung innerhalb des durch die Schädelkalotte begrenzten Raums früh auf zentrale Hirnzentren drückt und damit neurologische Ausfälle provoziert.
Zum anderen bergen viele Versuche, durch gesundes Hirngewebe hindurch den Tumor zu entfernen oder zu bestrahlen, das Risiko, dass die Therapie selbst gravierende Ausfälle provoziert, da im ZNS die Beschädigung mitunter nur millimetergroßer Strukturen oft wichtige oder sogar vitale Funktionen beeinträchtigt. Internationale Arbeitsgruppen arbeiten bereits daran, erste FLASH-Bestrahlungskonzepte für Glioblastome zu entwerfen (Med Phys 2023; DOI: 10.1002/mp.16586).
Gaipl resümmierte daher als einen wesentlichen, erhofften Vorteil der Flash-Bestrahlung: „Wenn sich die präklinischen Daten bestätigen, können dann auch Patientinnen und Patienten, bei denen der Tumor ungünstig liegt, bestrahlt werden“.
Ursula Nestle, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Radiologische Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und Chefärztin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach, sprach im Vorfeld des Deutschen Krebskongresses in der Ärztezeitung schon von einer „berückenden“ Vision und erklärte, dass die ersten Ergebnisse der klinischen Studien mit Spannung erwartet würden.
Allerdings gibt auch zurückhaltende, mahende Stimmen. Nach Ansicht von Vertretern der großen US-amerikanischen Tumorzentren wie dem Anderson Cancer Center im texanischen Houston und dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York müssen in punkto Patientensicherheit zuvor insbesondere methodische Probleme zur Dosiskalibrierung gelöst werden, um durch exaktes Monitoring fehlerhafte Behandlungen unterbrechen zu können (Medical Physics 2022; DOI: 10.1002/mp.15623).
Wenn es gelingt, solche Herausforderungen zu meistern, wäre tatsächlich eine Revolution in Sicht, von der jetzt schon einige sprechen. Wie Gaipl in der Pressekonferenz darlegte, würde man den Patientinnen und Patienten aufgrund der kurzen und einmaligen Bestrahlung außerdem noch Zeit sparen, was sich wiederum kostensenkend auswirken könnte.
Hinzu kommt, dass Bestrahlungen einer Tumorentität, sozusagen in der radiologischen Zweit- und Drittlinie nach Rezidiven, leichter wiederholt werden könnten. In der Summe hätte dies große Auswirkungen auf die Strahlentherapie. Denn sie ist neben Chirurgie, Chemo- und Immuntherapie eine der wichtigsten Säulen bei der Bekämpfung maligner Tumore: Rund 50 % aller Krebskranken werden im Rahmen ihrer Behandlung bestrahlt.
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