Ausland

Flüchtlingsretter vor italienisches Parlament geladen

  • Mittwoch, 10. Mai 2017
/picture alliance, JOKER
Bootsflüchtlinge auf dem Schiff „Sea-Eye“ der gleichnamigen NGO im Mittelmeer vor Libyen /picture alliance, JOKER

Rom – Deutsche Hilfsorganisationen müssen sich vor dem italienischen Parlament gegen den Verdacht verteidigen, bei der Bergung von Flüchtlingen im Mittelmeer mit Schleusern zusammenzuarbeiten. Die Organisationen Jugend Rettet und Sea Watch (beide Berlin) so­wie Sea Eye (Regensburg) sollen vom Verteidigungsausschuss des Senats in Rom be­fragt werden.

Private Seenotretter sehen sich seit Wochen mit Vorwürfen konfrontiert, Schleppern mit ihrer Arbeit in die Hände zu spielen oder gar von ihnen finanziert zu wer­den. Mit diesen Äußerungen hatte vor allem Staatsanwalt Carmelo Zuccaro aus dem sizilia­nischen Cata­nia für Wirbel gesorgt.

NGO weisen Vorwürfe zurück

„Wir haben nichts zu verbergen“, sagte Ruben Neugebauer von Sea Watch. Die Vor­wür­fe seien „völliger Quatsch und eine Verleumdungskampagne“. Sie würden gezielt und ohne Belege gestreut. Die EU und die Operation Sophia – der EU-Ma­rine­einsatz gegen kriminelle Schleuser­netze vor der libyschen Küste – würden sich bei der Rettung von Mi­granten immer mehr zurückziehen. Das Sterben auf dem Mittel­meer wer­de bewusst in Kauf genommen, um den Menschen zu signalisieren, dass sie nicht erwün­scht sind. „Man will die Mittelmeer­route schließen, indem man andere sterben lässt.“ Die Finanzierung von Sea Watch sei transparent, aus Italien habe es bisher keine Anfrage zur Offenle­gung der Finanzen gegeben.

Auch Alexander Supady, Facharzt für Innere Medizin, Notfallmedizin am Universitäts-Herzzent­rum Freiburg, der drei Wochen lang auf der „Sea Watch 2“ ge­arbeitet und für das Deut­sche Ärzteblatt einen Blog geschrieben hat, hält die Vorwürfe für „absurd“. Zum einen ha­be Zuccaro selbst zugegeben, dass er keine Beweise habe. Zum anderen verfolge die­ser offensichtlich wie Frontex-Direktor Fabrice Leggeri, der im Februar in einem Inter­view mit der Welt bereits starke Vorwürfe gegenüber den Nichtregierungs­organisationen (NGO) vorgebracht hatte, das Ziel, durch diffamierende Aussagen die Arbeit der Retter zu diskreditieren, um in der Öffentlichkeit eine ablehnende Stimmung gegen die Rettung und Aufnahme von Flücht­lingen zu erreichen. „Leider gerät hierbei der humanitäre Blick­winkel in den Hintergrund“, erklärte Supardy, der auf eine Studie verwies, die die Vorwür­fe entkräfte, dass die Rettungseinsätze einen Sogeffekt auf weitere Flüchtlinge haben.

Die Aussage vor dem Verteidigungsausschuss von Sea Watch und Sea Eye ist für heute Abend an­gesetzt. Jugend Rettet hatte gestern vor dem Ausschuss ausgesagt und die Vorwürfe ebenfalls zurückgewiesen. Man hätte sich gewünscht, dass der Staatsanwalt direkt an die Vereini­gungen herangetreten wäre, statt „unkonkrete, aber doch schwer­wie­gende Anschuldi­gungen“ hervorzubringen. „Wir arbeiten grundsätzlich transparent und hätten Gesprä­che mit ihm geführt“, sagte die Sprecherin Pauline Schmidt nach der Anhörung.

Unterdessen bestätigte ein Staatsanwalt aus Sizilien, dass gegen Mitarbeiter einiger NGO, die auf hoher See im Einsatz sind, wegen Beihilfe zur illegalen Migration ermittelt wird. Die Ermittlungen richteten sich aber nicht gegen die NGO per se, sondern gegen einzelne Personen, sagte der Staatsanwalt aus Trapani, Ambrogio Cartosio, heute vor dem Verteidigungsausschuss im italienischen Senat. Namen der NGO, zu denen die Beschuldigten gehören sollen, nannte er nicht.

Cartosio wies aber Spekulationen zurück, wonach NGO von kriminellen Netzwerken ge­gründet worden sein könnten oder kriminelle Absichten verfolgten. Die Ermittlungen hätt­en aber ergeben, dass einige Hilfsorganisationen Flüchtlinge und Migranten im Mittel­meer retteten, ohne zuvor die koordinierende italienische Küstenwache darüber in Kennt­nis zu setzen, sagte Cartosio.

Es gebe zwar keine Hinweise auf direkte Telefonkontakte zwischen NGO und Schleppern in Libyen. Aber „einige Menschen an Bord der Schiffe“ der NGO seien offenbar darüber im Bilde, wo und wann sie auf Boote mit Migranten träfen, „also werden sie offensichtlich vorher darüber informiert“. Könne nachgewiesen werden, dass die Beschuldigten eine Straftat im Namen eines höheren Ziels – etwa um Menschen­leben zu retten – begingen, seien keine Strafen zu befürchten. Würden NGO aktiv, um Menschen zu retten, sei das zu „100 Prozent“ gerechtfertigt.

dpa

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