Flüchtlingsretter vor italienisches Parlament geladen

Rom – Deutsche Hilfsorganisationen müssen sich vor dem italienischen Parlament gegen den Verdacht verteidigen, bei der Bergung von Flüchtlingen im Mittelmeer mit Schleusern zusammenzuarbeiten. Die Organisationen Jugend Rettet und Sea Watch (beide Berlin) sowie Sea Eye (Regensburg) sollen vom Verteidigungsausschuss des Senats in Rom befragt werden.
Private Seenotretter sehen sich seit Wochen mit Vorwürfen konfrontiert, Schleppern mit ihrer Arbeit in die Hände zu spielen oder gar von ihnen finanziert zu werden. Mit diesen Äußerungen hatte vor allem Staatsanwalt Carmelo Zuccaro aus dem sizilianischen Catania für Wirbel gesorgt.
NGO weisen Vorwürfe zurück
„Wir haben nichts zu verbergen“, sagte Ruben Neugebauer von Sea Watch. Die Vorwürfe seien „völliger Quatsch und eine Verleumdungskampagne“. Sie würden gezielt und ohne Belege gestreut. Die EU und die Operation Sophia – der EU-Marineeinsatz gegen kriminelle Schleusernetze vor der libyschen Küste – würden sich bei der Rettung von Migranten immer mehr zurückziehen. Das Sterben auf dem Mittelmeer werde bewusst in Kauf genommen, um den Menschen zu signalisieren, dass sie nicht erwünscht sind. „Man will die Mittelmeerroute schließen, indem man andere sterben lässt.“ Die Finanzierung von Sea Watch sei transparent, aus Italien habe es bisher keine Anfrage zur Offenlegung der Finanzen gegeben.
Auch Alexander Supady, Facharzt für Innere Medizin, Notfallmedizin am Universitäts-Herzzentrum Freiburg, der drei Wochen lang auf der „Sea Watch 2“ gearbeitet und für das Deutsche Ärzteblatt einen Blog geschrieben hat, hält die Vorwürfe für „absurd“. Zum einen habe Zuccaro selbst zugegeben, dass er keine Beweise habe. Zum anderen verfolge dieser offensichtlich wie Frontex-Direktor Fabrice Leggeri, der im Februar in einem Interview mit der Welt bereits starke Vorwürfe gegenüber den Nichtregierungsorganisationen (NGO) vorgebracht hatte, das Ziel, durch diffamierende Aussagen die Arbeit der Retter zu diskreditieren, um in der Öffentlichkeit eine ablehnende Stimmung gegen die Rettung und Aufnahme von Flüchtlingen zu erreichen. „Leider gerät hierbei der humanitäre Blickwinkel in den Hintergrund“, erklärte Supardy, der auf eine Studie verwies, die die Vorwürfe entkräfte, dass die Rettungseinsätze einen Sogeffekt auf weitere Flüchtlinge haben.
Die Aussage vor dem Verteidigungsausschuss von Sea Watch und Sea Eye ist für heute Abend angesetzt. Jugend Rettet hatte gestern vor dem Ausschuss ausgesagt und die Vorwürfe ebenfalls zurückgewiesen. Man hätte sich gewünscht, dass der Staatsanwalt direkt an die Vereinigungen herangetreten wäre, statt „unkonkrete, aber doch schwerwiegende Anschuldigungen“ hervorzubringen. „Wir arbeiten grundsätzlich transparent und hätten Gespräche mit ihm geführt“, sagte die Sprecherin Pauline Schmidt nach der Anhörung.
Unterdessen bestätigte ein Staatsanwalt aus Sizilien, dass gegen Mitarbeiter einiger NGO, die auf hoher See im Einsatz sind, wegen Beihilfe zur illegalen Migration ermittelt wird. Die Ermittlungen richteten sich aber nicht gegen die NGO per se, sondern gegen einzelne Personen, sagte der Staatsanwalt aus Trapani, Ambrogio Cartosio, heute vor dem Verteidigungsausschuss im italienischen Senat. Namen der NGO, zu denen die Beschuldigten gehören sollen, nannte er nicht.
Cartosio wies aber Spekulationen zurück, wonach NGO von kriminellen Netzwerken gegründet worden sein könnten oder kriminelle Absichten verfolgten. Die Ermittlungen hätten aber ergeben, dass einige Hilfsorganisationen Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer retteten, ohne zuvor die koordinierende italienische Küstenwache darüber in Kenntnis zu setzen, sagte Cartosio.
Es gebe zwar keine Hinweise auf direkte Telefonkontakte zwischen NGO und Schleppern in Libyen. Aber „einige Menschen an Bord der Schiffe“ der NGO seien offenbar darüber im Bilde, wo und wann sie auf Boote mit Migranten träfen, „also werden sie offensichtlich vorher darüber informiert“. Könne nachgewiesen werden, dass die Beschuldigten eine Straftat im Namen eines höheren Ziels – etwa um Menschenleben zu retten – begingen, seien keine Strafen zu befürchten. Würden NGO aktiv, um Menschen zu retten, sei das zu „100 Prozent“ gerechtfertigt.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: