Ärzteschaft

Fortgeschrittene Nierenerkrankung ist eine Volks­krankheit

  • Montag, 4. November 2024
Nephrologie, Nieren, Schmerzen
/dream@do, stock.adobe.com

Kiel/Berlin – Die fortgeschrittene Nierenerkrankung (CKD) des Stadiums 3 bis 5 ist in Deutschland eine Volks­krankheit mit rund 1,3 Millionen Betroffenen. Viele von ihnen sind unterversorgt. Das zeigt eine Analyse des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein zusammen mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versor­gung (Zi). Sie ist in Lancet Regional Health – Europe erschienen (2024, DOI: 10.1016/j.lanepe.2024.101111).

Die Arbeitsgruppe hat die Abrechnungsdaten von mehr als 73 Millionen gesetzlich Versicherten mit Blick auf die Prävalenz der CKD systematisch analysiert.

Es zeigte sich: Bei 1,9 Prozent der deutschen Bevölkerung war im Jahr 2022 eine mittlere bis fortgeschrittene CKD diagnostiziert worden. Fast ein Drittel der Patientinnen und Patienten im fortgeschrittenen Stadium 4 der Erkrankung wurde innerhalb des Jahres 2022 nicht fachärztlich durch eine nephrologische Praxis betreut.

Diese Patienten erhielten deutlich seltener eine Bestimmung der Nierenfunktion und der Urineiweißaus­schei­dung, die gemäß internationaler Leitlinien für eine optimale Behandlung und Einschätzung der Prognose min­destens dreimal jährlich erfolgen sollte. Eine geringere Mitbehandlungsrate durch Facharztpraxen wiesen insbesondere Frauen und ältere Menschen sowie Bewohner von Pflegeheimen auf.

Beispielsweise erhielten 52 Prozent der Frauen über 86 Jahre mit fortgeschrittener CKD keine Überweisung an eine Fachpraxis, während dies bei Männern derselben Altersgruppe bei 38 Prozent der Fall war. Regionale Faktoren beeinflussten die Überweisungsrate nicht.

„Unsere Analyse verdeutlicht, dass viele CKD-Betroffene im fortgeschrittenen Stadium gemessen an den inter­nationalen nephrologischen Leitlinien unzureichend versorgt werden“, erklärten die Erstautoren der Studie, Friedrich von Samson-Himmelstjerna und Edgar Steiger.

Aktuelle Daten anderer Arbeitsgruppen legten darüber hinaus nahe, dass es vermutlich noch eine hohe Dunkelziffer an nicht diagnostizierten Patienten mit CKD gebe, die nicht erfasst worden seien.

Kevin Schulte, Letztautor der Studie und stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Innere Medizin IV in Kiel, fordert einen klaren Fahrplan für die zukünftige Versorgung: „Nicht jeder Mensch mit CKD muss zwingend von einer fachärztlichen Praxis betreut werden, aber alle Erkrankten haben das Recht auf eine adäquate Diagnose und optimale Betreuung“, betonte er.

„Mit einer alternden Bevölkerung wird die Zahl der CKD-Betroffenen weiter steigen“, ergänzte der Zi-Vor­stands­vorsitzende Dominik von Stillfried. Das stelle eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem dar und bedeute für viele Betroffene persönliches Leid, weshalb man dringend Lösungen finden müsse, um Patienten frühzeitig zu identifizieren und zu behandeln.

Schulte und von Stillfried plädierten deshalb dafür, dass nephrologische und hausärztliche Praxen gemeinsam Maßnahmen zur besseren Früherkennung und flächendeckenden Behandlung entwickeln.

hil

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