Frauen in der Medizin: Selbst Prüferinnen beurteilen Männer per se besser

Chicago – Männer hängen Frauen bereits im zweiten Jahr der Weiterbildung in der Notfallmedizin ab. Zu Beginn des Dreijahresprogramms erzielen beide Geschlechter noch den gleichen Score. Am Ende des dritten Jahres überholen Männer weibliche Anwärterinnen zur Notfallärztin in allen 23 Trainingskategorien. Einen Wissensvorsprung der Männer schließen die Autoren jedoch aus. Die Gründe für die schlechtere Bewertung durch männliche wie weibliche Prüfer haben sie in einer retrospektiven Studie in den USA erörtert, die in JAMA Internal Medicine erschienen ist (2017; doi: 10.1001/jamainternmed.2016.9616). Eine zweite Studie beschäfigt sich mit der vergleichbar geringen Repräsentanz von Frauen als Referentinnen (2017; doi: 10.1001/jamainternmed.2016.9646).
Ein erkennbarer Unterschied in der Bewertung trat zu Beginn des zweiten Jahres der Facharztausbildung auf. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Lücke bis zum Abschluss immer größer. Drei bis vier Monate seien die Frauen laut Einschätzung der Prüfer in den jeweiligen Trainings im Hintertreffen im Vergleich zu den männlichen Kollegen, schreiben die Forscher um Vineet Arora und Arjun Dayal von der University of Chicago. Sowohl die männlichen als auch die weiblichen Prüfer bewerteten die Ärztinnen in Weiterbildung schlechter als ihre Kollegen. Zu den 23 geprüften Kategorien zählen unter anderem medizinisches Wissen, Patientensicherheit, Teammanagement und Kommunikation.
„Die Ergebnisse sind besorgniserregend”, findet der Medizinstudent Dayal. Prüfer und Fakultäten, die für die Bewertung von Fachärzten und -ärztinnen zuständig seien, sollten sich aktuelle Gendervorurteile bewusst machen, die das schlechte Abschneiden der Frauen begünstigen könnten. Da die Unterschiede in allen 23 geprüften Kategorien auftraten, könne man ein tatsächliches Defizit der Frauen ausschließen, ergänzt Koautor Daniel O’Connor, Student an der University of Pennsylvania. Auch er ist davon überzeugt, dass den durchweg schlechten Ergebnissen Voruteile zugrunde liegen.
„In der Tat gibt es weltweite Forschung, die zeigt, dass aufgrund der Geschlechterstereotype Frauen weniger Kompetenz zugeschrieben wird als Männern“, erklärt Dorothee Alfermann vom Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Leipzig. Das gelte ganz besonders für maskuline Professionen, wie sie die Medizin darstellt: „Zwar gilt in der Medizin die Ethik des Helfens und sozialen Einfühlungsvermögens als eher feminine Eigenschaft, aber das Arbeitsethos in der Medizin baut auf dem maskulinen Ideal des omnipräsenten, verausgabungsbereiten Arztes auf, der in seiner Profession ohne Abstriche voll aufgeht“, führt Alfermann aus.
Kritik an den Abläufen der fachärztlichen Weiterbildung in Deutschland
Wenn man davon ausgeht, dass die Ergebnisse sich aus tatsächlichen Unterschieden in der Ausbildung an den Kliniken entwickeln, deute das im Endeffekt ebenfalls auf ein diskriminierendes Verhalten hin, erklärt die Psychologin. In Deutschland könne man eine solche Situation mit der wenig standardisierten fachärztlichen Weiterbildung erklären. „Hier haben Prozesse der Chancenzuteilung durch Chefs und Oberärzte hohe Bedeutung. Immer wieder wird von Ärztinnen in Weiterbildung berichtet, dass sie bei Rotationen benachteiligt werden und Schwierigkeiten bekommen, den Ausbildungskatalog in angemessener Zeit abzuarbeiten. Dadurch werden Frauen später fertig, sie erwerben weniger Kompetenz in den fraglichen Gebieten und sind am Ende ‚nicht so gut’ wie ihre männlichen Kollegen.“
Weniger Frauen auf Podien
Benachteiligt werden Frauen auch, wenn das Fachwissen in Expertenrunden gefragt ist. Eine weitere Studie der University of Pittsburgh School of Medicine in JAMA Internal Medicine zeigte, dass Frauen seltener als Referenten angefragt werden.
Obwohl Frauen in den USA 47 Prozent der Medizinstudierenden ausmachen, 46 Prozent in der Facharztausbildung und 36 Prozent landesweit an Fakultäten tätig sind, sprechen nur 26 Prozent in größerern Runden zu Publikum. Noch geringer sind die Chancen für Frauen, von externen Institutionen als Redner eingeladen zu werden als von ihrem eigenem Institut. Auch hier gehen die Autoren von einem Gender-Bias-verursachten Problem aus. Untersucht wurden fast 80 Medizinische Fakultäten und Lehrkrankenhäuser.
Ähnliches Bild in Deutschland
Auch in Deutschland empfinden Ärztinnen die Zeit der Weiterbildung als besonders problematische Zeitspanne. Das zeigt das Verbundprojekt KarMed deutlich (Karriereverläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen während der fachärztlichen Weiterbildung). Während zu Beginn des Studiums noch mehr als 60 Prozent der Studierenden weiblich sind, erfolgt der Karriereknick für Ärztinnen häufig während der Weiterbildung, wenn sie schwanger wurden oder ihre Kinder selbst betreuten. Laut Bundesärztekammer sind von 371.302 berufstätigen Ärzten und Ärztinnen nur gut 40 Prozent weiblich.
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