Friedrich-Ebert-Stiftung fordert Verbindlichkeit in der Umsetzung der Psychiatrie-Enquete

Berlin – Rund 44 Jahre nach der Psychiatrie-Enquete fehlt es Experten zufolge in erster Linie an einem gesetzlich verbindlich geregelten Umsetzungsplan der Beschlüsse von damals für eine bessere Versorgung von psychisch kranken Menschen mit komplexem Hilfebedarf.
„Wir brauchen keine neue Enquete, sondern eine verbindliche Koordination der Versorgung innerhalb kooperativ arbeitender Netzwerke in den Gemeinden – es muss jeweils einen Verantwortlichen für die Koordination geben“, forderte Rudolf Schmid, Mitglied der Projektgruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die gestern ein Positionspapier zum Thema „Handlungsbedarfe zur Reform der psychosozialen Versorgung 44 Jahre nach der Psychiatrie-Enquete“ vorgestellt hat.
Der wissenschaftliche Direktor der Gesellschaft für Forschung und Beratung im Gesundheits- und Sozialbereich verdeutlichte, dass mit der Psychiatrie-Enquete zwar Koordination in Gemeindepsychiatrischen Verbünden gefordert wurde, nicht aber eine verbindliche Regelung.
„Das ist heute ein großes Problem, denn wir haben deutliche Koordinationsdefizite“, sagte Schmid. Der Abbau von Großkrankenhäusern, in die viele psychisch Kranke vor 1975 „weggesperrt“ wurden, sei zwar gelungen – gemeindepsychiatrische Verbünde hingegen gebe es hingegen nicht flächendeckend.
Die FES-Projektgruppe fordert deshalb vom Gesetzgeber die Sicherstellung der integrierten Versorgung für psychisch Kranke. „Der Paragraf 140a Sozialgesetzbuch V zur ‚besonderen Versorgung‘ allein ist nicht ausreichend“, betonte Schmid.
Verschiedene Bedarfe in unterschiedlichen Sozialgesetzen
Die Gleichstellung von psychisch Kranken mit somatisch Kranken habe sich im Nachhinein als problematisch erwiesen, sagte Schmid. „Psychisch Kranke brauchen eben nicht nur psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung, sondern auch Arbeit, Wohnraum und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Diese verschiedenen Bedarfe seien indes in verschiedenen Sozialgesetzbüchern (SGB) geregelt, neben dem SGB V auch in den SGB VI, IX, XI, XII und XIV, mit jeweils unterschiedlichen Kostenträgern.
Die FES-Projektgruppe fordert deshalb eine Zusammenfügung der psychiatrierelevanten Leistungen aus den einzelnen Gesetzbüchern. Die psychosoziale Versorgung sollte in Zukunft tatsächlich von der Person aus gedacht werden, nicht vom Kostenträger aus oder von einer Einrichtung. Dabei sollte die Selbstbestimmung der Person in den Mittelpunkt gestellt werden sowie Prävention und Selbsthilfe gestärkt werden, so die Forderungen.
„Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, das heißt eine konsequente Umsetzung des personzentrierten Ansatzes in den regionalen Strukturen – es gibt bereits gute Konzepte“, erklärte Christian Kieser, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam, bei der Diskussion des Positionspapiers. Die Mittel des Krankenhauses seien für die Versorgung von Menschen mit komplexem Hilfebedarf nicht ausreichend. Notwendig seien flexiblere Angebote wie Hometreatment und andere aufsuchende Hilfen.
„Auch für Menschen in akuten psychotischen Krisen kann das Krankenhaus nicht der einzige Ort sein – wir brauchen mehr ambulante Krisendienste, Krisenwohnungen oder Soteria-Einheiten“, sagte Kieser. Psychosoziale Hilfen seien ein zentraler Faktor in der Versorgung von Menschen mit komplexem Hilfebedarf, nicht nur die medizinisch-psychiatrische Behandlung.
Der Berichterstatter der SPD für Psychiatrie und Psychotherapie, Dirk Heidenbut (MdB), sprach sich für „klare Standards und eindeutige Verantwortlichkeiten“ bei der Umsetzung der Vorschläge der FES-Projektgruppe aus. „Zur Weiterentwicklung der psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatischen Versorgung sollte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe tagen“, schlug er vor. Er unterstützte den Vorschlag der FES für eine Zusammenführung psychiatrierelevanter Leistungen aus den verschiedenen Sozialgesetzbüchern in einer eigenen Rahmengesetzgebung.
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