Politik

„Für die Krankenkassen steht das Sparen an erster Stelle“

  • Freitag, 13. Mai 2016

Heide – In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Selbstverständnis der Krankenkassen gewandelt – sie wollen die Gesundheitsversorgung nicht mehr nur bezahlen, sondern mitgestalten. Nicht selten kommt es dabei zu Konflikten mit der Ärzteschaft. Seit 15 Jahren ist der gelernte Chirurg Martin Blümke Medizincontroller am Westküstenklinikum im schleswig-holsteinischen Heide und daher zuständig für die Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen sowie für den Kontakt mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt erzählt er, was ihn am Verhalten der Kassen stört und wie das Miteinander vereinfacht werden könnte.

Uploaded: 13.05.2016 17:21:58 by lode
Martin Blümke

Fünf Fragen an Martin Blümke, Medizincontroller am Westenküstenklinikum Heide

DÄ: Herr Dr. Blümke, Sie haben in Ihrer täglichen Arbeit mit Krankenkassen zu tun. Was stört sie am meisten?
Blümke: Im heutigen System steht für die Kranken­kassen das Sparen an erster Stelle. Sie haben insbesondere ihren Zusatzbeitrag im Auge und versuchen mit allen Mitteln, ihn stabil zu halten, um keine Mitglieder zu verlieren. Diese Haltung erlebe ich täglich.

DÄ: Wie äußert sich das konkret?
Blümke: Der MDK streicht uns häufig im Nachhinein Leistungen, die wir schon erbracht haben und die die Krankenhäuser insofern durch Aufbringen von Personal und Sachmitteln bereits bezahlt haben. Dadurch entsteht den Krankenhäusern natürlich ein direkter wirtschaftlicher Schaden.

Das Problem bei den Gutachten durch den MDK ist dabei, dass die Empfehlungen nicht der Realität entsprechen. Das größte Problem ist, dass uns die Krankenkassen massiv die Verweildauern kürzen. Sie verlangen von uns also, unsere Patienten früher in die ambulante Nachsorge zu entlassen. Die ist aber in unserer Umgebung vielfach überhaupt nicht vorhanden.

Ein typisches Beispiel ist die Verlaufsbeobachtung von postoperativen kritischen Wunden. Zu diesen Patienten müsste ein Arzt nach Hause kommen, um sich die Wunde anzusehen. Oft gibt es solche Ärzte aber nicht, oder es fehlt an der nötigen spezifischen Erfahrung. Und wenn wir keinen Arzt für die ambulante Nachsorge finden, entlassen wir den Patienten nicht. Dafür streichen uns die Krankenkassen dann Teile der Vergütung – mit dem Argument, die Behandlung hätte auch ambulant stattfinden können. Wir werden also mit einem idealtypischen Handlungsablauf verglichen, den es häufig überhaupt nicht gibt.

Ein anderes Beispiel ist: Der MDK streicht uns Teile der Vergütung, wenn ein Patient länger im Krankenhaus liegt, als er es im Idealfall tun müsste. Auch hier gibt es aber häufig den Idealfall nicht. Denn es ist nun einmal nicht ständig ein Untersuchungs- oder OP-Platz frei. Wir haben auch keine endlosen Ressourcen; zum Beispiel können am Wochenende nicht alle Leistungen durchgeführt werden. Hier gibt es kein partner­schaftliches Denken zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern. Und das kritisiere ich.

Es geht mir allerdings nicht darum, die Kollegen vom MDK an den Pranger zu stellen. Das sind auch alles Ärzte, die klinische Erfahrung haben. Aber sie haben einfach eine verklärte Sicht auf die Realität. Sie glauben, im Krankenhaus sei alles zu jeder Zeit verfügbar. Und das stimmt natürlich nicht.

DÄ: Wie oft kommt es eigentlich vor, dass die Krankenkassen der Argumentation des Krankenhauses und nicht der Argumentation des MDK folgen?
Blümke: In der Öffentlichkeit wird häufig der Eindruck erweckt, der MDK entscheide darüber, welche Krankenhausrechnungen angezweifelt werden. Das stimmt aber nicht. Der MDK legt nur ein Gutachten vor, und die Krankenkasse, in deren Auftrag er arbeitet, entscheidet. Sie könnte also problemlos eine Empfehlung des MDK nicht annehmen und stattdessen der Argumentation des Krankenhauses folgen, in dem die Leistungen, um die es geht, ja vorgenommen wurden. Aber das passiert praktisch nie. In den 15 Jahren, in denen ich mich mit dem Thema befasse, ist das nur drei oder vier Mal vorgekommen.

DÄ: Gibt es denn auch Situationen, in denen die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen gut klappt?
Blümke: In den Budgetverhandlungen erlebe ich die Krankenkassen eher konstruktiv. Mich stört allerdings, dass die Krankenkassen dabei stets versuchen, Innovationen zu verhindern. Wenn wir in unserem Krankenhaus ein neues Verfahren anwenden und in der Folge natürlich auch vergüten lassen wollen, müssen wir uns mit den Krankenkassen in jedem Einzelfall einigen und die entsprechende Vergütung aushandeln. Hier versuchen die Krankenkassen massiv, die Ausgaben für diese Leistungen zu deckeln. Aus meiner Sicht stecken hinter der Blockadehaltung der Krankenkassen vor allem wirtschaftliche Interessen. Hier gibt es aber auch Beispiele, wo die Zusammenarbeit mit den Kassen sehr gut funktioniert, zum Beispiel bei Spezialprojekten wie dem Regionalbudget in der Psychiatrie, das es bei uns gibt. Da habe ich die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen als sehr positiv erlebt.

DÄ: Was würden Sie sich sowohl vom Gesetzgeber als auch von den Krankenkassen wünschen?
Blümke: Vom Gesetzgeber würde ich mir wünschen, dass er klarer formuliert, welche Innovationen Krankenhäuser erbringen dürfen. Diese Leistungen müssten den Krankenhäusern dann bezahlt werden, ohne dass Verhandlungen mit den Kranken­kassen dazwischen geschaltet sind. Dann gäbe es auch eine Chance, diese Leistungen in die Versorgung zu bringen.

Mich stört zudem, dass wir in Deutschland ein System haben entstehen lassen, dessen Komplexität nicht mehr zu vertreten ist. Und es ist auch nicht zielgerichtet, weil es eine unglaubliche Menge an ärztlicher Expertise verbraucht. 12 bis 13 Prozent aller Krankenhausfälle in Deutschland werden von den Krankenkassen überprüft. Pro Fall liegt der Arbeitsaufwand sowohl bei den Kassen als auch bei den Krankenhäusern bei mindestens einer Dreiviertelstunde. Sie können sich vorstellen, wie viel ärztliches Potenzial hier gebunden wird, das für die Patientenversorgung nicht mehr zur Verfügung steht. Zwei Drittel dieser Prüfungen befassen sich dabei mit der Verweildauer im Krankenhaus. Wenn man die Grenzverweildauer aus den DRGs herausnehmen würde, könnten wir zwei Drittel der ärztlichen Leistung hier sofort freisetzen.

Und die Krankenkassen sollten sich aus meiner Sicht mehr überlegen, an welchen Standorten sie welche Leistungen untergebracht haben wollen. Sie können doch aus ihren Daten herauslesen, welche Krankenhäuser eine bestimmte Qualität erbringen. Und dabei geht es mir nicht um Mindestmengen. Ein Arzt kann auch sehr gute Leistungen erbringen, wenn er weniger als die vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorgegebene Mindestzahl von zum Beispiel 50 Knie-TEPs pro Jahr operiert. Sie sollten lieber auf die Qualifikation der Ärzte und die vorhandenen Strukturen schauen und nicht auf die reine Zahl der durchgeführten Operationen.

Auch reicht eine gute Primärversorgung allein nicht, es muss auch in der weiteren Betreuung der Patienten alles stimmen. Eine Zentrenbildung ist darum absolut vernünftig. Doch die Krankenkassen müssten mehr darüber nachdenken, wie sie ihre Patienten in diese Zentren bringen können. Stattdessen zahlen sie heute relativ blind alle Rechnungen, unabhängig von der erbrachten Qualität.

fos

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