Medizin

Genetische Stammbaum-Analyse zeigt, wie Lungenkrebs sich entwickelt

  • Donnerstag, 27. April 2017
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London – Eine Genom-Analyse an Krebszellen aus verschiedenen Stellen des Primärtumors hat in einer prospektiven Studie im New England Journal of Medicine (2017; doi: 10.1056/NEJMoa1616288) wichtige Informationen über die Prognose von Patienten mit nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) geliefert, wobei vor allem die Zahl der Genkopien das Rezidivrisiko beeinflusste. Die Untersuchung von Tumor­genen im Blut könnte als „Liquid Biopsy“ Aussagen über die Erfolgsaussichten der Therapie liefern, wie eine Publikation in Nature (2017; doi: 10.1038/nature22364) zeigt.

Das britische Forschungsinstitut Cancer Research UK unternimmt mit der „TRACERx“-Studie den ambitionierten Versuch, die genetische Entwicklung von Lungenkrebs­tumoren zu verfolgen. In einer ersten Phase der Studie untersuchte das Team um Charles Swanton vom Francis Crick Institute in London die Primärtumore von 100 Patienten, die noch keine Chemotherapie erhalten hatten.

Die Forscher entnahmen von mehreren Stellen des Tumors und in vier Fällen auch aus einem befallenen Lymphknoten Gewebeproben: Sie isolierten die DNA aus den Zellen und sequenzierten das gesamte Genom des Tumors. Der Vergleich verschiedener Regionen ermöglichte Aussagen über die genetische Heterogenität. Die Forscher waren auch in der Lage, genetische Stammbäume der einzelnen Tumore zu erstellen und dadurch die Evolution, sprich zeitliche Entwicklung, des Karzinoms nachzuvollziehen. Die Position einer Mutation auf dem Stammbaum zeigt beispielsweise, ob eine Mutation Ursache der Krebserkrankung ist oder ob sie sich im Verlauf des genetischen Chaos zufällig entwickelt hat.

Es zeigte sich, dass die meisten Treiber-Mutationen in den Krebsgenen EGFR, MET, BRAF und TP53 „klonal“, sprich in allen Tumorregionen, vorhanden waren. Sie befanden sich an der Wurzel des Stammbaums und waren deshalb eher an der Krebsentstehung beteiligt. Dazu passt, dass die Zahl der im Verlauf des Lebens gerauchten Zigaretten mit dem Auftreten dieser frühen Mutationen korrelierte.

Wirkstoffe, die diese Mutationen angreifen, sind vielversprechende Medikamente. Drei Viertel aller Tumore erwarben im Verlauf ihrer späteren Evolution jedoch weitere Treibermutationen. Sie wurden in den Genen PIK3CA und NF1 entdeckt. Diese Mutationen können das erneute Wachstum der Tumore erklären und sie könnten in Zukunft Anlass für eine Änderung der Therapie sein.

Neben einzelnen Punktmutationen kommt es im Verlauf eines Krebswachstums auch zur Verdopplung von größeren Genabschnitten (später auch von gesamten Chromosomen). Diese Kopienzahlvariation („Copy number alteration“) kann die Aggressivität eines Karzinoms erheblich steigern, vor allem, wenn sich in den kopierten Genen Treibergene wie CDK4, FOXA1 und BCL11A befinden, wie dies bei vielen untersuchten Patienten der Fall war.

Tatsächlich kam es bei Patienten, deren Tumore eine hohe Heterogenität der Gen­kopien aufwiesen, fünfmal häufiger im Verlauf der Therapie zu einem klinischen Rezidiv oder zum Tod (Hazard Ratio 4,9; 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,8-13,1). Dies war das auffälligste Ergebnis der Studie.

Der Nachweis von Mutationen in den Krebstumoren könnte auch die Verlaufs­beobach­tung der Erkrankung bereichern. Mit dem Untergang der Krebszellen, zu dem es infolge der Therapie, aber auch infolge eines nekrotischen Tumorwachstums kommt, werden die Gene ins Blut abgeschwemmt. Sie sind dort als zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) nachweisbar. Im Rahmen der „TRACERx“-Studie werden bei allen Teilnehmern regelmäßig „Liquid Biopsies" durchgeführt. Die Art und die Anzahl der Mutationen in der ctDNA zeigte bei einigen Patienten den weiteren klinischen Verlauf besser an als konventionelle klinische Methoden. Die Forscher haben auch untersucht, wie die ctDNA auf die Chemotherapie reagiert. Ein Rückgang der ctDNA weist laut Swanton auf eine Wirksamkeit hin, während ein kontinuierlicher Anstieg anzeigt, dass die Therapie ihr Ziel verfehlt hat.

Die Forscher konnten die ctDNA-Analyse auch in die genetischen Stammbäume der Tumore integrieren. Bei einem Patienten wurden die Ergebnisse mit den Ergebnissen der späteren Autopsie verglichen. Die Forscher stellten fest, welche Mutationen sich am Ende durchsetzten und den Tod des Patienten herbeiführten.

Für den klinischen Alltag ist die Methode noch nicht ausgereift. Ein Nachteil sind sicherlich die hohen Kosten. Swanton beziffert die Kosten allein für die „Liquid Biopsies" mit 1.750 US-Dollar pro Patient.

rme

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