Medizin

Genom-Editor verhindert Taubheit bei Beethoven-Mäusen

  • Donnerstag, 21. Dezember 2017
ibreakstock - stock.adobe.com
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Cambridge – Die einmalige Injektion eines Genom-Editors in die Endolymphe der Hörschnecken hat bei Mäusen die Entwicklung einer autosomal-dominant vererbten Taubheit verhindert. Die in Nature (2017; doi: 10.1038/nature25164) beschriebenen Experimente sind der erste Schritt zur Behandlung von angeborenen Schwer­hörigkeiten beim Menschen.

Die Haarzellen im Innenohr, die akustische Signale in Nervenimpulse umsetzen, sind anfällig für Schäden. Dies trifft nicht nur auf die durch Lärm oder Chemikalien induzierte Schwerhörigkeit zu. Etwa die Hälfte aller Hörstörungen sind genetisch bedingt, und bisher konnten mehr als hundert Mutationen nachgewiesen werden, die eine Taubheit auslösen.

Zu den möglichen genetischen Ursachen der Innenohrschwerhörigkeit gehören Mutationen im Protein Tmc1 („transmembrane channellike gene family 1“), das sich an der Basis der Zilien der Haarzellen befindet. Eine Schädigung an dieser Stelle führt zu einer Schwerhörigkeit, die oft bereits in der Kindheit beginnt und innerhalb von 10 bis 15 Jahren zur völligen Taubheit führt.

Dies ist auch bei der Beethoven-Maus der Fall, bei der die Taubheit durch eine Punktmutation im Tmc1-Gen ausgelöst wird. Der Austausch einer einzelnen Aminosäure reicht aus, um die Haarzellen dauerhaft zu schwächen, was nach einiger Zeit zur völligen Taubheit der Tiere führte. Dass bei dem gleichnamigen Komponisten dieselbe Mutation vorliegt, ist übrigens höchst unwahrscheinlich. Die Kranken­geschichte von Beethoven spricht jedoch klar für eine genetische Ursache.

In Zukunft könnten Komponisten und auch anderen Menschen dieses Schicksal erspart werden, sofern die Technik, die ein Team um David Liu vom Broad Institute in Cam­bridge/Massachusetts entwickelt hat, auf den Menschen übertragbar ist. Für eine klinische Anwendung ist die Methode zwar noch nicht ausgereift, bei der Beethoven-Maus hat die Therapie jedoch bereits funktioniert. 

Die Forscher injizierten neugeborenen Mäusen den Genom-Editor CRISPR-Cas9 in den Ductus cochlearis des Innenohres. Dieser ist mit der Endolymphe gefüllt, die auch die Haarzellen umspült. Damit der Genom-Editor von den Haarzellen aufgenommen wird, wurde er in ein Liposom verpackt, das bei genetischen Experimenten häufig eingesetzt wird.

Nach dem Eintreten des Genom-Editors in die Haarzelle, sucht dieser das Tmc1-Gen auf und bindet genau an der Stelle, an der sich die für die Schwerhörigkeit verantwortliche Mutation befindet. Das Gen wird an dieser Stelle zerschnitten. Danach kann die Information nicht mehr in ein defektes Tmc1 umgesetzt werden. 

Dies allein führt bei autosomal-dominanten Erkrankungen häufig zu einer Heilung. Denn bei diesen Erbgängen ist in der Regel nur eine der beiden Genkopien (Allele) mutiert. Wenn es ausgeschaltet wird, kann das zweite intakte Allel die Funktion wenigstens teilweise wieder herstellen.

Dies war auch bei den Beethoven-Mäusen der Fall. Während die Hörschwelle bei den unbehandelten Mäuse nach vier Wochen auf über 80 Dezibel angestiegen war, konnten die therapierten Mäuse bereits Geräusche ab 65 Dezibel wahrnehmen. Das entspricht in etwa der Lautstärke bei einer normalen Unterhaltung. Liu konnte natürlich nicht feststellen, ob die Mäuse normal kommunizieren konnten. Die instinktive physische „Schreckreaktion“ auf ein plötzliches lautes Geräusch blieb jedoch auch nach acht Wochen erhalten, während die unbehandelten Mäuse nicht mehr reagierten.

Der Erfolg der Behandlung ist insofern erstaunlich, als der Genom-Editor auf keinen Fall das intakte Allel zerlegen darf. Obwohl es sich nur in einem Basenpaar von dem mutierten Allel unterscheidet, arbeiten die Genom-Editoren äußerst präzise. Laut Liu wurden nach der einmaligen Therapie 94 Prozent der mutierten Gene zerstört gegenüber nur 6 Prozent des intakten Gens.

Die Forscher wollen jetzt die Therapie an größeren Tiermodellen mit genetisch bedingtem Hörverlust testen. Ob sich daraus einmal eine Therapie für die menschliche Schwerhörigkeit entwickelt, ist nicht absehbar. Sie würde wie bei der Gentherapie von Sehstörungen, die dieser Tage in den USA zugelassen wurde, sicherlich voraussetzen, dass die Erkrankung frühzeitig entdeckt wird.

Die Chancen sind bei autosomal-dominanten Erbgängen recht hoch, da zumeist mehrere Familienmitglieder betroffen sind. Bei jedem neuen Kind könnte dann ein Gentest durchgeführt werden. Es sind allerdings noch längst nicht alle Gendefekte erforscht. Die Kenntnis der auslösenden Mutation wäre jedoch eine weitere Voraussetzung für das Gelingen der Therapie.

rme

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