Ärzteschaft

Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen: Ausbau der Versorgungsstrukturen empfohlen

  • Dienstag, 24. Juni 2025
/EdoardoB, stock.adobe.com
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Berlin – Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, braucht es keine neuen Regelungen, sondern einen Ausbau der Versorgungsstrukturen und der Prävention. Das betont die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einem Positionspapier, dem sich 20 weitere Fach- und Klinikverbände sowie Angehörigen- und Betroffenengruppen angeschlossen haben.

Die Verbände reagieren damit auf den Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) von Mitte Juni (Top 83) zum „Integrierten Risikomanagement bei Menschen mit psychischen Erkrankungen“.

Unter Absatz zwei heißt es dort: „Die IMK hält es für erforderlich, ein zuverlässigeres und wirksameres System zur Früherkennung und Minimierung von Risiken bei Menschen mit psychischer Erkrankung zu etablieren. Relevante Erkenntnisse zu psychischen Erkrankungen müssen den zuständigen Behörden, gegebenenfalls auch der Polizei, zugänglich und ein Datenaustausch möglich gemacht werden.“

„Die wirksamste Maßnahme der Gewaltprävention bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist eine fachgerechte psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung“, betonte die Präsidentin der DGPPN, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. Eine konsequente Therapie senke nachweislich das Risiko für Gewalttaten.

Zusätzlich seien Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration und Teilhabe essenziell – denn das Risiko, dass ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung gewalttätig werde, entstehe aus der Wechselwirkung von Erkrankung und weiteren Belastungs- und Risikofaktoren für Aggression und Gewalttätigkeit wie dem Konsum von Drogen oder Alkohol, Gewalterfahrungen, sozialer Isolation, Armut und Wohnungslosigkeit, so die Expertin. 

Neuere Studien zeigen der DGPPN zufolge für Menschen mit psychischen Erkrankungen ein statistisch erhöhtes Risiko auf, Gewalttaten zu begehen. Eindeutig gesichert sei es für Schizophrenien und andere Psychosen, Substanzkonsumstörungen und schwere Persönlichkeitsstörungen.

„Zunächst muss betont werden: Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die an diesen Erkrankungen leiden, ist nicht gewalttätig. Aber das Risiko ist tatsächlich statistisch erhöht. Es steigt, wenn Drogen und Alkohol konsumiert werden und es sinkt, wenn die Erkrankung adäquat behandelt wird“, sagte Gouzoulis-Mayfrank.

Eine besondere Herausforderung stellten jene Betroffene dar, die in der Vergangenheit durch Aggressivität und Gewaltbereitschaft aufgefallen seien, sich aber gegen eine Behandlung aussprächen. „In einzelnen Fällen muss bei hohem Aggressionspotenzial auch darüber nachgedacht werden, wann die Voraussetzungen für eine unfreiwillige Behandlung vorliegen“, so die DGPPN-Präsidentin.

Aktuell sei es so, dass eine Unterbringung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung unmittelbar beendet werde, wenn die akute Symptomatik abgeklungen sei, auch wenn sich der Zustand noch nicht ausreichend stabilisiert habe. Die DGPPN empfiehlt, diese Praxis „unbedingt zu überdenken“. 

Die DGPPN-Präsidentin betont, Register oder die Weitergabe von medizinischen Daten an Behörden minderten das Gewaltrisiko nicht. Dies sieht auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) so.

„Wer solche Ideen verfolgt, riskiert, dass Betroffene sich keine Hilfe mehr suchen – aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung oder staatlicher Überwachung. Auf diese Weise steigern wir das Gefährdungspotenzial statt es zu senken. Statt Ausgrenzung brauchen wir frühzeitige Unterstützung und einen starken Sozialpsychiatrischen Dienst“, sagte der Vorsitzende des Verbandes, Peter Schäfer.

„Mit großer Sorge“ sieht die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) den Beschluss der IMK. „Die vorgeschlagenen Maßnahmen greifen in Grundrechte ein, verengen die Sicht auf psychische Erkrankungen und gefährden zentrale Elemente psychotherapeutischer Versorgung“, warnte der DPtV-Bundesvorsitzende Gebhard Hentschel.

Der Beschluss der IMK ziele nur auf eine kleine Risikogruppe, vermittele aber den Eindruck, psychische Erkrankungen seien grundsätzlich ein sicherheitsrelevantes Merkmal, warnte Elisabeth Dallüge aus dem DPtV-Bundesvorstand.

Ein zentraler Kritikpunkt der DPtV ist der geplante Austausch sensibler Gesundheitsdaten mit Polizei-, Justiz- und Ausländerbehörden. „Die psychotherapeutische Schweigepflicht ist rechtlich geschützt und für das Vertrauensverhältnis in der Behandlung unerlässlich. Wird dieser Schutz infrage gestellt, steigt die Schwelle, überhaupt Hilfe zu suchen – und genau das gefährdet Prävention und Stabilisierung“, so der Verband.

hil

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