Ärzteschaft

Globalisierung und Klimawandel könnten Blutprodukte­sicherheit verändern

  • Freitag, 22. September 2023
/Elnur, stock.adobe.com
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Berlin/Köln – Trotz Sicherheitsmaßnahmen bei Spenderblut bleibt ein Restrisiko für Infektionen durch Blut­transfusionen. Denn insbesondere neue oder noch unbekannte Erreger könnten die Blutproduktesicherheit verändern, warnte Axel Seltsam, Kongresspräsident der 56. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI), diese Woche auf einer Pressekonferenz. Abhilfe könnte ein neuer Therapiestandard zur Pathogeninaktivierungsverfahren von Thrombozytenkonzentraten bringen.

Besonders tückisch seien Erreger, die im Zuge von Globalisierung und Klimawandel neu auftreten, erkärte der Ärztliche Geschäftsführer des Blutspendedienstes des Bayerischen Roten Kreuzes, Nürnberg. „Während man bekannte Erreger wie das Immunschwächevirus HIV oder Hepatitis B- oder -C-Viren über empfindliche Tests nachweisen kann, existieren solche spezifischen Tests für neue Erreger naturgemäß nicht“, sagte Seltsam. Selbst bekannte Viren können in seltenen Fällen so gering konzentriert sein, dass sie das Nachweisverfahren unterlaufen.

Um diese Sicherheitslücke zu schließen und einen Infektionsschutz zu gewährleisten, wurden verschiedene Verfahren zur Pathogeninaktivierung der Blutkomponenten entwickelt. Das Verfahren wurde bereits in den 80er-Jahren infolge des HIV-Skandals für die Plasmaindustrie entwickelt. „Jedes Plasmaprodukt wird mindes­tens zweimal pathogeninaktiviert“, sagte Seltsam. Fast alle nutzen eine Kombination aus Licht und einer pho­toaktiven Substanz mit dem Ziel DNA und RNA der Viren oder Bakterien zu verändern, damit diese sich nicht weiter vermehren können.

Sonderstellung der Thrombozytenkonzentrate

Für Thrombozytenkonzentrate (TKs) stellen darüber hinaus vor allem unvermeidliche bakterielle Verunreini­gun­gen ein ungelöstes Problem dar. Im Gegensatz zu Plasma oder Erythrozytenkonzentraten können sie nicht eingefroren, noch nicht einmal gekühlt werden. Um die Funktion der Thrombozyten zu erhalten, werden die empfindlichen Konzentrate in der Regel bei Raumtemperatur gelagert und ständig bewegt.

Aufgrund der Lagerbedingungen der TKs können Bakterien während der Lagerung zu großer Zahl heranwach­sen. Ungefähr eine von 1.000 Blutspenden ist bakteriell kontaminiert und eine von 10.000 Thrombozyten­trans­fusionen führt zur Sepsis.

Neue Verfahren zur Pathogeninaktivierung in Deutschland noch kein Standard

Mit einer Pathogeninaktivierung ließe sich nicht nur das Sepsisrisiko minimieren, die TKs könnten möglicher­weise auch länger als die bislang maximal erlaubten vier Tage gelagert werden und müssten daher seltener verworfen werden, sagte Seltsam.

„Doch obwohl seit dem Frühjahr ein zweites Inaktivierungsverfahren für diese Blutprodukte zugelassen wurde, würden sie bislang aus Kostengründen nur selten eingesetzt“, kritisierte der Transfusionsmediziner. Dabei sollten bisherige Bedenken einer Monopolsituation mit der Verfügbarkeit des zweiten Systems gegenstandslos geworden sein.

„In vielen anderen westlichen Ländern, wie etwa den USA, Frankriech, Belgien, Schweiz und neuerdings auch in Canada, werden die TK-Pathogeninaktivierungsverfahren bereits eingesetzt – teils auch verpflichtend“, berichtete der DGTI-Kongresspräsident. Ein wichtiger Schritt hin zur Routine sei ein behördlich definierter Therapiestandard, so dass Anwendende eine Kostenrückerstattung erhalten.

In der Verantwortung sieht Seltsam die Fachge­sellschaften, die auch in Deutschland diesen The­rapiestandard definieren müssen. „Eine Schlüssel­po­sition dabei, die Sicherheit in der Transfusions­medizin zu gewährleisten, hat aber auch das Paul-Ehrlich-Institut. Das Robert-Koch-Institut sowie die Bundesäztekammer sollten sich ebenfallls um das Thema kümmern“, forderte Seltsam.

An der Entwicklung des kürzlich zugelassenen Pa­thogeninaktivierungsverfahrens namens Theraflex UV-Platelets waren der Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes sowie Seltsam selbst beteiligt (Annals of Blood; DOI: 10.21037/aob-21-44). Er habe aber keine persönliche finanzielle Beteiligung, erklärte der Transfusionsmediziner dem . Theraflex UV-Platelets beruht allein auf der Belichtung mit kurzwelligem ultraviolettem Licht (UVC) und verzichtet auf die Zugabe potenziell toxischer Substanzen (Kongressband, Zeitschrift Hämotherapie).

Etwas länger zugelassen und vermarktet wird in Deutschland das Pathogeninaktivierungsverfahrens für Thrombozytenkonzentrate namens Intercept (Transfusion Medicine and Hemotherapy, DOI: 10.1159/000323937).

Allerdings hat jedes neue Verfahren auch Nebenwirkungen und Nachteile. So gehen abhängig von der ver­wendeten Technologie Thrombozyten während der Herstellung verloren und es gibt Hinweise, dass es häu­figer zu immunologischen Unverträglichkeitsreaktionen in Form von Antikörperbildungen kommen kann.

„Die Pathogeninaktivierung ist eine neue Möglichkeit, Blutprodukte noch sicherer zu machen. Die DGTI un­terstützt die Durchführung von klinischen Studien zur Prüfung der Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Pathogeninaktivierung und die Bewertung von Verfahren nach Prüfung durch die Bundesoberbehörde Paul-Ehrlich-Institut“, betonte Holger Hackstein, Präsident der DGTI.

Keine Verfahren zur Pathogeninaktivierung von Erythrozytenkonzentraten verfügbar

Im Gegensatz zur Pathogeninaktivierung von Thrombozytenkonzentraten und Plasma gibt es für Erythrozyten bisher keine zugelassenen Verfahren. Dabei handelt es sich hierbei um das am häufigsten eingesetzte Pro­dukt: etwa vier Millionen pro Jahr. Eine Pathogeninaktivierung würde es ermöglichen, die Spenderkriterien zu verändern und neue Spendergruppen zuzulassen, stellte der Transfusionsmediziner aus Nürnberg in Aussicht.

Die besondere Schwierigkeit ergibt sich durch die lichtbasierten Verfahren und das Hämoglobin, das genau dieses Licht sowie UV-Licht absorbiert und die Wirkung somit „wegfischt“. Es gebe aber Möglichkeiten, dies zu umgehen. „Ein Verfahren wird bereits in klinischen Studien geprüft, andere sind in der präklinischen Phase“, so Seltsam. Für die schnelle Entwicklung bräuchte es wie in den USA öffentliche Fördergelder.

gie

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