Grüne setzen auf Hausärzte, mehr Steuermittel und Diskriminierungsfreiheit

Berlin – Im Hinblick auf die angesetzten Bundestagsneuwahlen am 23. Februar stellen sich die Parteien derzeit inhaltlich neu auf und veröffentlichen nach und nach ihre Wahlprogramme. Auch die Grünen haben ihr Programm „Zusammen Wachsen“ bereits fertiggestellt, allerdings ist das Papier noch nicht öffentlich vorgestellt worden.
Vor allem die Primärversorgung, insbesondere durch Hausärztinnen und -ärzte, wollen die Grünen demnach stärken. So heißt es in ihrem 69-seitigen Wahlprogramm, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Vor allem unterversorgte Gebiete sollen besser unterstützt werden. Dazu braucht es auch eine bessere Abstimmung der Krankenhausplanung mit der Verteilung von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Die Grünen wollen sich weiter dafür einsetzen, die getrennten ambulanten und stationären Finanzierungssysteme zu überwinden, um damit bessere Kooperation und Koordination zu fördern.
„Durch regionale Verbünde (Gesundheitsregionen) sowie gemeinsame Versorgungszentren, in denen verschiedene Therapie- und Pflegeberufe unter einem Dach zusammenarbeiten, sorgen wir für eine gute Versorgung vor Ort“, heißt es weiter. Zudem sollen Maßnahmen ergriffen werden, um Fehl- und Überversorgung abzubauen, erklären die Grünen. Sprechstundenanteile für gesetzliche Versicherte sollen zudem erhöht werden, damit Patientinnen und Patienten schneller Termine erhalten.
Die Grünen wollen sich darüber hinaus für einen Bürokratieabbau einsetzen, um Vertragsärzte zu entlasten. Auch hinsichtlich der Digitalisierung müsste Bürokratie abgebaut werden, Prozesse digital und effizienter und durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) verbessert werden. Ein entsprechendes Bürokratieabbaugesetz für das Gesundheitswesen hatte die Ampelregierung unter Beteiligung der Grünen bereits für diese Legislaturperiode versprochen. Aufgrund des Ampelbruchs im November hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) allerdings keinen entsprechenden Entwurf mehr vorgelegt.
Erfolgreicher war die Ampel bei der Krankenhausreform. Auch hier hatten die Grünen die große Reform maßgeblich mit verhandelt und verabschiedet, dennoch wolle man hier „nachbessern“, heißt es in dem Wahlprogramm. Zusammen mit den Ländern solle die Reform umgesetzt werden. Das Ziel der Grünen: Künftig auch die privaten Versicherungen an den Kosten der Reform zu beteiligen.
Weiter wollen die Grünen die Notfallreform, die in dieser Legislaturperiode aufgrund des Ampelbruchs liegen geblieben ist, angehen und den Rettungsdienst reformieren. Auch die Finanzierung der Apotheken müsse im Hinblick auf eine gute, flächendeckende und effiziente Versorgung reformiert werden.
Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Forschung
Daneben brauche es zusätzliche Programme wie etwa Gemeindegesundheitspfleger oder „Medizin auf Rädern“, um die alternde Bevölkerung in den ländlichen Regionen zu unterstützen. Gleichzeitig wollen die Grünen für die Gesundheitsberufe mehr Kompetenzen und eine bessere Arbeitsteilung erreichen. Weiter wollen sich die Grünen für attraktive Arbeitsbedingungen für Hebammen, besonders im Krankenhaus einsetzen.
Die Grünen versprechen zudem psychotherapeutische Therapieplätze sowie Beratungsstrukturen und die Ausbildung von entsprechendem Fachpersonal auszubauen. Es braucht zudem mehr Forschung zu ME/CFS und Long-COVID, erklären die Grünen.
Weitere Stärkung brauche das Gesundheitswesen, um auf Epidemien, große Katastrophen und militärische Bedrohungen besser vorbereitet zu sein. Dafür sollen der Vorrat von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie regelmäßige Katastrophenschutzübungen helfen. Die Grünen wollen zudem den öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) stärken.
Weitere Liberalisierung in der Drogenpolitik
Im Sinne der Drogenpolitik wollen die Grünen liberalisieren und einen Kurswechsel vollführen. Das Ziel: Die Befähigung zum eigenverantwortlichen Umgang mit Risiken. Der Verkauf von Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften sei weiter die Zielvorstellung der Grünen. Ursprünglich wollte die Ampelregierung in dieser Legislaturperiode den Verkauf von Cannabis über ein Modellprojekt in entsprechenden Fachgeschäften ermöglichen. Zu diesem Vorhaben gab es aber noch nicht mal einen Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Man wolle sich auf europäischer und internationaler Ebene dafür einsetzen, um den Schwarzmarkt einzudämmen, fordern die Grünen. Hinsichtlich weiterer Drogen wie etwa Kokain, Crack oder synthetische Opioide, wollen die Grünen zweigleisig fahren. Einerseits sollen die Ressourcen der Polizei und des Zolls gestärkt werden, um die dahinterstehende Kriminalität zu bekämpfen. Auf der anderen Seite sollen Angebote zur Prävention, Therapie und Schadensminderung ausgebaut werden.
Die Grünen wollen sich zudem für ein geschlechtergerechtes Gesundheitssystem einsetzen. Forschung, Ausbildung und medizinische Praxis müssten geschlechtsspezifische Aspekte zur Verbesserung der Frauengesundheit zwingend berücksichtigen. Die Partei will sich darüber hinaus für eine gute und diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung für queere Menschen einsetzen. Im Gesundheitswesen ist es den Grünen wichtig, etwa durch Quoten und bessere Arbeitsbedingungen mehr Frauen in die Führungsgremien holen.
Im globalen Kontext sehen die Grünen eine notwendige, vorausschauende Zusammenarbeit als nötig. Partnerländer sollen im Aufbau ihrer Gesundheitssysteme unterstützt, langfristige Forschungs- und Entwicklungskooperationen gefördert und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestärkt werden.
Mehr Steuermittel für gesetzliche Krankenversicherung
Ein weiteres großes Thema ist die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie der Pflegeversicherung. Indirekt versprechen die Grünen mehr Steuermittel, um die Versicherungen zu stützen. Damit sollen vor allem Versicherte entlastet werden. Explizit sollen die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen und Beiträge für Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld angemessener über den Staat finanziert werden, heißt es weiter im Programm.
Darüber hinaus wollen die Grünen den Einfluss von Finanzinvestoren auf die Versorgung begrenzen. Damit spielt die Partei vor allem auf die investorengeführten MVZ hin, die in den vergangenen Monaten für deutliche Diskussion gesorgt hatten. Der Lösungsvorschlag der Grünen: Die öffentlichen und gemeinnützigen Träger sollten gestärkt werden.
Die Partei sieht zudem eine Reformierung der Beitragsbemessung vor und will zur besseren Finanzierung des Gesundheitssystems auch Kapitaleinnahmen heranziehen. Mindestbemessungsgrenzen sollen reformiert werden, um freiwillig versicherte, geringverdienende oder in Teilzeit beschäftigte Solo-Selbstständige besser abzusichern. Für gesetzlich Versicherte Selbständige mit geringeren Einkommen sollte den Grünen zufolge künftig der gleiche Krankenversicherungsschutz und die gleiche Beitragsbemessung gelten wie für Beschäftigte.
Weiter bleibt die Idee einer Bürgerversicherung bestehen. Auf dem Weg zu dieser sollen neben gesetzlich Versicherten auch die Privatversicherten in den „solidarischen Finanzausgleich des Gesundheitssystems“ einbezogen werden. Auch in der Pflege streben die Grünen eine „Pflegebürgerversicherung“ an. Diese soll mit einem Ausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung dafür sorgen, dass sich alle gerecht an der Finanzierung des Pflegerisikos beteiligen. „So tragen Versicherte mit finanziell starken Schultern stärker zur Finanzierung von Pflege und Gesundheit bei als solche, die nur über geringe Einkünfte verfügen.“
Beim Thema Pflege wollen sich die Grünen weiter für eine bessere Bezahlbarkeit einsetzen. Angebote vor Ort müssten gestärkt werden, damit könne die Pflegebedürftigkeit hinausgezögert werden, heißt es im Wahlprogramm. Auch pflegende Angehörige sollten künftig unterstützt werden. Dazu haben die Grünen einen Vorschlag: „Wer die eigene Arbeitszeit für die Pflege reduziert, braucht finanzielle Unterstützung in Form eines zeitlich begrenzten Ausgleichs der entgangenen Einkünfte.“ Die Leistung sollte so ausgestaltet sein, dass mehrere Personen sich die Pflege teilen könnten. Berufliche Freistellungen sollen so besser und flexibler möglich sein.
Mehr Flexibilität stellen sich die Grünen auch bei der Unterstützung von Pflegebedürftigen vor, die entsprechende Leistungen (etwa Therapien, Haushaltsführung) flexibler als bislang in Anspruch nehmen und kombinieren könnten. Dazu könnte ein Pflegebudget eingeführt werden, überlegen die Grünen.
Um den Pflegeberuf an sich attraktiver zu machen, setzen die Grünen zudem auf Beratung, bessere Arbeitsbedingungen, weitere Umsetzung höherer Personalschlüssel, mehr Kompetenzen für den Pflegeberuf und bessere Aufstiegschancen.
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