Hartmannbund bescheinigt scheidender Regierung „ein dürftiges politisches Ergebnis“

Berlin – Der Vorsitzende des Hartmannbundes hat der scheidenden Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. „Im Fazit stellen wir fest, dass die Regierung in der Summe ein umgänglicher Dialogpartner gewesen ist, das politische Ergebnis aber in der Folge eines eklatanten Mangels an Mut ein sehr dürftiges war“, sagte Klaus Reinhardt zum Auftakt der Hauptversammlung des Verbandes heute in Potsdam.
So habe die Beibehaltung eines einheitlichen Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beim GKV-Spitzenverband die Attitüde der Großmannssucht gefördert und bei den einzelnen Kassen zu einer maximalen Gestaltungsstarre geführt. Auch eine ernsthafte Bemühung um den Abbau einer im Laufe der Jahrzehnte bis zur Absurdität angeschwollenen Bürokratie sei nicht zu erkennen gewesen.
Die Amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) nach 17 Jahren zu erneuern, sei mehr als angemessen, betonte Reinhardt. Statt dies voranzutreiben, habe sich das Gesundheitsministerium aber auf den Standpunkt gestellt, die Bundesärztekammer und der Verband der privaten Krankenversicherung müssten sich zunächst auf wesentliche Inhalte einigen. Anders als im Bereich der GKV sei die GOÄ aber gerade kein Verhandlungskonstrukt zwischen Kassen und Vertragsärzten, sondern eine vom Gesetzgeber erlassene Verordnung.
Darüber hinaus kritisierte Reinhardt, dass die Bundesregierung durch die Einführung des Patientenrechtegesetzes den Eindruck erweckt habe, Patienten müssten vor ihren Ärzten geschützt werden. Zwar seien es auch Ärzte gewesen, die dazu beigetragen hätten, dass ein solcher Eindruck in der Öffentlichkeit entstanden ist. In diesem Zusammenhang hätte die Koalition dann aber auf die Selbstverwaltung zugehen sollen, um sie in die Lage zu versetzen, „wirksam dem Berufsrecht das ihm zustehende Maß an Geltung zu verschaffen“.
„Ein konstruktiver Beitrag dazu könnte es sein, die Kammern zu Approbationsbehörden zu machen, die über Erteilung, aber eben auch über den Entzug derselben befinden“, schlug Reinhardt vor. Denn „es sind immer noch die wirtschaftlichen Sanktionen, die am seltensten ihre Wirkung verfehlen“.
Der im Vorfeld versprochene Wandel von der Misstrauens- zur Vertrauenskultur sei von der christlich-liberalen Regierung insofern nicht vollzogen worden. Problematisch sei dies auch insofern, als hier der Schlüssel zum Versagen beim Bürokratieabbau liege. „Bürokratie entsteht primär aus Kontrollbedürfnis“, sagte Reinhardt. Ein überdurchschnittliches Kontrollbedürfnis sei ein Ausdruck von Schwäche. In unserer politischen Kultur der letzten zwei bis drei Jahrzehnte sei diese Schwäche in besonderer Weise kultiviert und nicht angemessen reflektiert worden.
Im Ausblick auf die kommende Regierung konstatierte der Vorsitzende des Hartmannbundes zunächst, dass die Gesundheitspolitik den Wahlkampf wenig geprägt habe. „Und dies, obwohl wir in dem Dreieck Demografie, Morbidität und medizinischer Fortschritt vor unverändert ungelösten und auch unübersehbar drängenden Problemen stehen.“
Im Hinblick auf die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD bezweifelte Reinhardt, dass es die Delegationsführer der beiden Parteien in der Arbeitsgruppe „Gesundheit und Pflege“, Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD), schaffen, „die an vielen Stellen diametral auseinanderlaufenden Vorstellungen ihrer Parteien in großem Umfang“ in den Koalitionsvertrag einzubringen.
Anreizsysteme überprüfen
Der Beginn einer neuen Legislaturperiode sei ein guter Zeitpunkt, um zum Beispiel über die vorhandenen Anreizsysteme im deutschen Gesundheitswesen nachzudenken. „Die Anreizsysteme wirken überwiegend Mengen steigernd und sind in keiner Weise auf Gemeinwohlförderung ausgerichtet“, befand Reinhardt. „Diese Feststellung erfolgt ohne jede Form von Wertung oder Schuldzuschreibung. Sie ist das Ergebnis eines über 30 Jahre betriebenen politischen Flickschustereibetriebes.“
Diesem Problem könne man sich grundlegend mit einem planwirtschaftlichen oder einem marktwirtschaftlich-pluralistischen Ansatz nähern. Die Geschichte habe jedoch an zahllosen Beispielen gezeigt, dass letzterer die deutlich größere Innovationskraft und Effizienz bewirke, da er der Natur des Menschen angemessen sei. Damit es aber nicht zu dem in den letzten Jahren so bezeichneten Marktversagen komme, müsse es eine Marktordnung und eine Anreizsystematik geben, die eine Gemeinwohlorientierung bewirke.
„Wenn man sich aber aufmacht und über eine Marktordnung reflektiert, die eine solche Entwicklung mit Gemeinwohlorientierung zur Folge hätte, dann muss man vom Grundsatz her denken“, sagte Reinhardt und schlug vor, dafür „einen politikfreien, ideologiegesäuberten Denkraum“ zu schaffen, in dem sich Mathematiker, Spieltheoretiker oder Verhaltensforscher frei bewegen können. Reinhardt: „Ein solches Unternehmen wäre angesichts der Dimension dessen, was auf uns zurollt, allemal angemessen.“
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