HIV: Immer mehr Infektionen bei über 50-Jährigen

Stockholm – In Europa infizierten sich immer häufiger ältere Menschen mit dem HI-Virus. Etwa jede sechste Neudiagnose entfällt laut einer Studie in Lancet HIV (2017; doi: 10.1016/S2352-3018(17)30155-8) auf über 50-Jährige. Die Infektion wird in dieser Altersgruppe selten vermutet und deshalb häufig erst spät erkannt.
Junge Menschen, die intravenöse Drogen konsumierten oder homosexuelle Männer, die unsicheren Sex mit häufig wechselnden Partnern haben, gelten in der Öffentlichkeit als die wichtigste Risiko-Gruppe für eine HIV-Infektion. Tatsächlich treten die meisten Infektionen auch heute noch bei Männern auf, die Sex mit Männern (MSM) haben.
Es gibt jedoch eine zweite unscheinbare Risikogruppe, bei denen Ärzte seltener an die Möglichkeit einer HIV-Infektion denken und die deshalb auch nicht getestet werden. Dies sind ältere Männer, die als „asexuell“ eingestuft werden, die sich jedoch ab und zu eine Affäre haben oder Prostituierte aufsuchen, auch im Ausland.
In dieser Gruppe ist es in den Jahren zu einem Anstieg der Neuinfektionen gekommen, wie Lara Tavoschi vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) in Stockholm herausgefunden hat: Von den 29.419 Neudiagnosen, die im Jahr 2015 im Europäischen Wirtschaftsraum (EU/EAA) registriert wurden, entfielen 5.076 oder 17,3 Prozent auf über 50-Jährige. Sie sind zu 78 Prozent männlich, infizieren sich zu 42 Prozent durch heterosexuelle Kontakte und haben nur zu 17 Prozent (soweit bekannt) einen außereuropäischen Migrationshintergrund. Dies steht in einem deutlichen Kontrast zu den jüngeren HIV-Infizierten, die zwar ebenfalls zu 77 Prozent männlich sind, sich zu 45 Prozent als MSM infizieren und zu 26 Prozent einen außereuropäischen Migrationshintergrund haben.
Der aus Sicht der öffentlichen Gesundheit wichtigste Unterschied ist, dass die Infektion bei Menschen über 50 deutlich später entdeckt wird als bei jüngeren. Bei 40 Prozent war der CD4-Wert bei der Diagnose bereits auf unter 350/µl abgefallen (gegenüber 27 Prozent bei jüngeren Patienten). Die Patienten beginnen die antiretrovirale Therapie vor dem Hintergrund einer weiter fortgeschrittenen Immunschwäche, die bei älteren Patienten das Mobilitäts- und Mortalitätsrisiko erhöhen.
Europaweit gibt es große Unterschiede in der Zahl der Neudiagnosen bei über 50-Jährigen. Die Inzidenz reicht von 0,4 auf 100.000 in der Slowakischen Republik bis zu 7,5 auf 100.000 in Estland. Deutschland gehört zu den Ländern mit dem stärksten Anstieg der über 50-Jährigen. Nach den Zahlen von Tavoschi kam es zwischen 2004 und 2015 zu einer jährlichen Zunahme um 8,1 Prozent gegenüber 3,6 Prozent in Großbritannien oder 3,9 Prozent in Belgien.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: