HIV: Jede zweite Infektion in Europa wird erst spät erkannt

Stockholm – In Europa wurde im letzten Jahr bei etwa 160.000 Menschen eine HIV-Infektion neu erkannt, die meisten davon in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wo die HIV-Epidemie rasch voranschreitet. In der Europäischen Region und assoziierten Ländern (EU/EEA) ist die Zahl der Neuinfektionen mit etwa 29.000 leicht rückläufig und in Deutschland mit etwa 3.100 Neuinfektionen sind die Zahlen konstant geblieben. Dies geht aus einem Report hervor, den das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO Europa) anlässlich des Welt-Aids-Tags veröffentlicht hat.
Europa ist hinsichtlich der HIV-Infektionen tief gespalten. Während in Westeuropa (die Länder westlich des früheren eisernen Vorhangs) die Epidemie leicht zurückgeht und in Zentraleuropa (ehemalige Warschauer Pakt-Staaten) eine starke Ausbreitung von HIV bisher vermieden werden konnte, steigen die Infektionen in der ehemaligen Sowjetunion – einschließlich der zentralasiatischen Republiken – und dort vor allem in der Ukraine und in Russland steil an.
Im Jahr 2016 kamen in Westeuropa auf 100.000 Einwohner 6,2 Neudiagnosen, in Zentraleuropa waren es nur 2,9 Neudiagnosen auf 100.000 Einwohner. In Osteuropa dagegen betrug die Inzidenz 50,2 pro 100.000 Einwohner. Der starke Anstieg in der ehemaligen Sowjetunion ist dafür verantwortlich, dass Europa die einzige WHO-Region ist, in der die Zahl der HIV-Diagnosen noch steigt.
Auch die Übertragungswege sind in Europa verschieden. Während in Westeuropa die meisten Infektionen bei Männern auftreten, die Sex mit Männern haben (MSM), infizieren sich in Osteuropa die meisten Patienten durch heterosexuelle Kontakte, und auch ein intravenöser Drogenkonsum ist – vor allem in den baltischen Staaten – ein häufiger Übertragungsweg. MSM-Kontakte spielen dort kaum eine Rolle. Die Zahl der Neudiagnosen in dieser Risikogruppe lag in Osteuropa 2016 nur bei 903.
Während in Westeuropa die meisten Infizierten männlich sind, ist das Geschlechterverteilung in einigen osteuropäischen Ländern umgekehrt. In der Ukraine beträgt die Männer-Frauen-Verhältnis 0,68. In Russland dürfte es ähnlich sein; das Land macht keine genauen Angaben über die HIV-Epidemie.
Ein Zeichen, dass die Probleme in Osteuropa langsam erkannt werden, könnte ein Anstieg der HIV-Tests sein, deren Zahl sich in den letzten Jahren verdoppelt hat. Im Jahr 2016 wurden 5,1 Millionen HIV-Tests durchgeführt.
Die Diagnose wird in Osteuropa jedoch häufig erst spät gestellt: Bei 56 Prozent der Patienten waren die CD4-Zellen bereits auf unter 350 pro mm3 gefallen, 32 Prozent der Patienten hatten bei der Diagnose bereits CD4-Zellen von weniger als 200 pro mm3.
In diesem Stadium kann die Behandlung zu spät kommen. Im letzten Jahr wurde in Osteuropa bei 11.151 Patienten die Volldiagnose AIDS gestellt. Insgesamt 3.947 Patienten starben an den Folgen der erworbenen Immunschwäche.
Auch in den EU-Ländern wird die Infektion bei fast der Hälfte der Patienten erst spät gestellt. Besonders häufig ist dies in der Altersgruppe der über 50-Jährigen und bei heterosexuellen Männern der Fall sowie bei Migranten aus Subsahara-Afrika (die sich häufig erst in Europa infizieren). In diesen Gruppen liegt der Anteil der Spätdiagnosen teilweise bei über 60 Prozent. Offenbar rechnen viele nicht damit, dass sie sich anstecken können. Bei jungen Menschen und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), ist das Risikobewusstsein offenbar höher. Aber auch hier liegt der Anteil der Spätdiagnosen noch über 30 Prozent.
Bei 3.628 HIV-Patienten in EU/EAA wurde im letzten Jahr die Diagnose AIDS gestellt, 849 Patienten starben an AIDS, was bei einer früheren Diagnose und eine konsequenten Therapie heute in der Regel vermiede werden könnte.
In Deutschland wurde nach Angaben des Robert Koch-Instituts im letzten Jahr bei 3.100 Menschen eine HIV-Infektion neu diagnostiziert, darunter waren 2.100 MSM. Rund 460 Menschen starben 2016 mit oder an HIV.
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