Hodenkrebs: Keimzelltumore zur Hälfte vererbt
London - Etwa die Hälfte aller Seminome und Nichtseminome werden vermutlich durch Genmutationen ausgelöst, die vom Vater oder der Mutter geerbt wurden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie in Scientific Reports (2015; 5: 13889), die sowohl der klassischen Auswertung von Patientenregistern als auch auf einem „modernen“ Vergleich von Genvarianten beruht.
Seminome und Nichtseminome des Hodens sind mit jährlich mehr als 18.000 Neuerkrankungen in Europa die häufigste Krebserkrankung bei jungen Männern. Die Inzidenz hat sich in den letzten 40 Jahren mehr als verdoppelt, was für einen deutlichen Einfluss von Umweltfaktoren spricht. Gleichwohl gibt es eine starke familiäre Häufung, die auf erbliche, sprich genetische Faktoren beruhen kann (Denkbar ist auch der gleiche Einfluss von Umweltfaktoren in der Familie).
Wie groß der Erbfaktor ist, hat ein Team um Clare Turnbull vom Institute of Cancer Research in London zunächst in einer Analyse des schwedischen nationalen Familien-Krebsregisters untersucht, das die Daten von 9.324 Patienten mit Keimzelltumoren des Hodens enthält. Der Abgleich mit einem Mehrgenerationen-Register der Bevölkerung ergab, das 48,1 Prozent (43,4-54,8 Prozent) der Seminome und 49,6 Prozent (44,2-55,1 Prozent) der Nicht-Seminome vererbt werden. Die engen 95-Prozent-Konfidenzintervalle zeigen, dass diese Schätzungen relativ exakt sind.
Die Heritabilität der beiden Hodenkrebsarten liegt damit deutlich höher, als durch die bisher in genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) entdeckten Genvarianten (SNP) erklärt werden kann. Turnbull beziffert den Anteil nach der eigenen Auswertung einer GWAS auf der Basis von 986 Patienten und 4.946 Kontrollen mit 9,1 Prozent. Unter Verwendung einer neuen Software, der „Genome-Wide Complex Trait Analysis“, steigt der Anteil auf 37,4 Prozent (27,6-47,2 Prozent).
Die Zahlen sind damit nicht mehr weit von Ergebnissen der klassischen Analyse des Bevölkerungsregisters entfernt. Turnbull vermutet, dass es über die 19 bekannten SNP (die den Anteil von 9,1 Prozent erklären), noch mindestens 50 weitere SNP gibt. Der Anteil der SNP an der Heritabilität ist gering. Die Odds Ratios lagen bei maximal 1,21. Die meisten erhöhten das Risiko nur um wenige Prozentpunkte. Ob vor diesem Hintergrund ein Gentest sinnvoll ist, dürfte unter anderem davon abhängen, ob über die 19 bekannten noch weitere SNP identifiziert werden können.
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