Politik

Hohe Hürden für Errichtung von Pflegekammer in Baden-Württemberg

  • Mittwoch, 28. September 2022
/hailey_copter, stock.adobe.com
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Stuttgart – Eine Landespflegekammer soll in Baden-Württemberg nur dann eingerichtet werden, wenn es dem Gründungsausschuss gelingt, innerhalb von 18 Monaten 60 Prozent der Pflegenden des Landes für eine Registrierung zu gewinnen. Das erklärte der Landespflegerat (LPR) Baden-Württemberg kürzlich vor Journa­listen. Über diese Pläne habe die Landesregierung den Rat vor kurzem informiert.

Die Vorsitzende des Landespflegerats, Susanne Scheck, kritisierte diese Vorgaben. „Grundsätzlich finde ich ein Quorum nicht schlecht“, sagte sie. „Aber die Zeit, die uns gegeben werden soll, ist zu kurz und die Quote ist zu hoch.“

Das Land Nordrhein-Westfalen (NRW), das zurzeit ebenfalls die Errichtung einer Pflegekammer plant, habe dem Errichtungsausschuss keine Vorgaben gemacht. Der Ausschuss konnte 50 Prozent der Pflegenden in­ner­halb von zwei Jahren für eine Registrierung gewinnen.

Zudem kritisierte Scheck, dass das Land die Errichtung einer Landespflegekammer in einem eigenen Gesetz regeln will – und nicht im Rahmen des Heilberufe-Kammergesetzes. „Auf diese Weise ist es leichter, die Lan­despflegekammer direkt wieder aufzulösen, sollten wir das Quorum nicht erreichen“, sagte sie.

Überhaupt könne die Unterstützung durch die Politik bei der Errichtung einer Kammer besser sein. So werde der Landespflegerat oft nicht ausreichend und zu spät über politische Vorgänge informiert.

Kritik an Verdi

Bereits in der letzten Legislaturperiode hatte die Landesregierung die Errichtung einer Pflegekammer auf den Weg gebracht – damals im Rahmen einer Novellierung des Heilberufe-Kammergesetzes. „Nach der Anhörung hat die Regierung das Vorhaben jedoch wieder fallengelassen“, so Scheck. „Als Grund hat man uns gesagt, dass der Gegenwind zu groß gewesen sei.“

Gegenwind habe es vor allem von der Gewerkschaft Verdi gegeben, erklärte der stellvertretende Vorsitzende des LPR, Oliver Hommel. Verdi habe die Sorge, dass die Pflegenden aus der Gewerkschaft austräten, wenn sie Pflichtmitglied in einer Pflegekammer würden. „Ich glaube nicht, dass es so kommen würde“, meinte Hommel. „Denn eine Gewerkschaft und eine Kammer haben ja ganz unterschiedliche Aufgaben.“

Barbara Driescher, ebenfalls stellvertretende LPR-Vorsitzende sowie Vorstandsvorsitzende des Berufsverbands Lehrende Gesundheit und Soziales Baden-Württemberg, gab wieder, wie Auszubildende die Situation einschätzen: „Die Auszubildenden sagen, Verdi habe nur Angst um ihre eigenen Pfründe.“

Die Gewerkschaft wies die Vorwürfe zurück. „Es gibt viele Gründe, die für uns gegen die Errichtung einer Pfle­ge­kammer sprechen. Angst vor Mitgliederverlusten gehört ganz sicher nicht dazu“, sagte Irene Gölz, Landes­fachbereichsleiterin für Gesundheit, Soziales und Bildung bei Verdi. Sie verwies auf Erfahrungen aus Rhein­land-Pfalz, wo die Kammer seit 2016 besteht.

„Pflegekammern werden nicht errichtet, weil Pflegekräfte keine Lobby haben, sondern zur Regulierung der Berufsausübung. Kammern sind deshalb primär Einrichtungen für freie Berufe, in denen es keine Regulierung der Berufsausübung durch Arbeitgeber gibt“, erklärte Gölz.

Pflegekräfte seien dagegen zu 95 Prozent abhängig beschäftigt. Sie hätten Arbeitgeber, die ihnen genau vor­schreiben könnten, wie sie zu arbeiten hätten. Pflegekräfte benötigten „keine zusätzliche Kammer, die ihnen weitere Vorschriften und möglicherweise Sanktionen auferlegt“. Und dafür, dass sie noch von einer weiteren Seite reguliert würden, müssten die Pflegekräfte dann auch noch per Zwangsbeitrag bezahlen.

Gölz räumte aber auch ein, es sei richtig, dass Pflegekräfte zu wenig Gehör bei der Politik finden. „Da wird aber eine Kammer nicht weiterhelfen. Denn die Vorschläge, was sich für eine gute Pflege ändern muss, liegen seit Jahren auf dem Tisch des Sozialministers“, betonte die Verdi-Landes­fachbereichsleiterin. Eine Kammer mit Zwangsmitgliedschaft verbessere „gar nichts für die Pflegekräfte“.

Auszubildende wünschen sich eine Pflegekammer

Der Landespflegerat sieht das anders und verweist auch auf die Auszubildenden, bei denen es eine klare Haltung zur Errichtung einer Pflegekammer in Baden-Württemberg gebe. „Ich sehe bei meiner Arbeit immer, wie sehr es sich die jungen Menschen wünschen, eine Standesvertretung zu haben“, sagte Driescher. Scheck kritisierte, dass die Pflegenden im deutschen Gesundheitssystem nicht institutionell verankert seien.

„Die Pflege ist die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, aber sie hat keine politische Stimme“, sagte Scheck, die zugleich Vorstandsvorsitzende der Württembergischen Schwesternschaft vom Roten Kreuz ist. Weil die Arbeitsbedingungen in der Pflege so schlecht seien, sehe sie bei der Schwesternschaft derzeit so viele Austritte aus dem Beruf wie noch niemals zuvor.

„Bei uns kündigen Pflegende, die seit vielen Jahren sehr engagiert in dem Beruf gearbeitet haben“, erklärte die LPR-Vorsitzende. „Sie sagen: Ich ziehe lieber die Reißleine, bevor mein Privatleben zugrunde geht.“ Deshalb müssten sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege ändern. Und das gehe nur mit der Errichtung von Pflegekammern.

Pflegenden sind apolitisch

In Deutschland gibt es derzeit nur eine einzige Landespflegekammer: in Rheinland-Pfalz. Die Pflegekammern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden von den Landesregierungen wieder aufgelöst, nachdem sich die Pflegenden im Land mehrheitlich gegen eine Kammer ausgesprochen hatten. „Die Pflegenden sind apolitisch“, sagte Scheck zur Erklärung. „Sie sind mit anderem beschäftigt.“

Zudem merkt sie an, dass den Kammern zu wenig Zeit eingeräumt worden sei, um Veränderungen anzustoßen. „Nur mit der Kammergründung alleine erledigen sich die Probleme nicht von heute auf morgen“, so Scheck. „Da braucht es mindestens fünf Jahre, bis Änderungen für die Pflegenden überhaupt spürbar werden.“ Diese Chance habe man sowohl in Niedersachsen als auch in Schleswig-Holstein den Kammern nicht gegeben.

Hommel ergänzte, dass die Gegner von Pflegekammern als Argument nur die Pflichtmitgliedschaft und die Pflichtbeiträge einbrächten. Die vielen Vorteile, die die Kammer zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bringen würde, würden nicht erwähnt – Vorteile, die bei anderen verkammerten Berufen wie Ärztinnen und Ärzte längst erreicht seien.

Wie Driescher erklärte, plane die Landesregierung die erste Lesung des Gesetzes zur Errichtung einer Pflege­kammer voraussichtlich im Januar 2023. Der Gründungsausschuss könnte seine Arbeit dann frühestens zum 1. Juni 2023 aufnehmen.

Der Landespflegerat plant, in der Folge eine Informationskampagne im Land sowie ver­schiedene Maßnahmen wie Kammerbotschafter oder Newsletter zu etablieren, um die circa 110.000 Pflegen­den über die Arbeit einer Pflegekammer zu informieren.

Von der Landesregierung wünschte sich Driescher unterdessen mehr Mut. „Die Politik hätte gerne, dass alle Pflegenden auf die Straße gehen, um für die Errichtung einer Pflegekammer zu demonstrieren. Das wird aber nicht passieren“, sagte sie.

„Wir wünschen uns von der Politik, dass sie tut, was notwendig ist, ohne auf eine Legitimation zu warten, die sie nicht bekommen wird. Jetzt ist der Mut von Politikern gefragt, richtige Entscheidungen zu treffen und dann auch dazu zu stehen.“

fos

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