HPV-Impfrate in Coronapandemie deutlich zurückgegangen

Berlin – Die Rate der Impfungen gegen das humane Papillomavirus (HPV) ist in der Coronapandemie deutlich zurückgegangen. Sie sank von 2021 auf 2022 um 23,5 Prozent von 98 auf 75 Impfungen je 1.000 Mädchen. Im Vergleich zum Jahr 2015 reduzierte sich die Impfrate um 37 Prozent.
Das geht aus dem Arzneimittelreport 2024 der Barmer hervor, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Wie der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub, erklärte, liegt die Quote der vollständig geimpften 14-jährigen Mädchen derzeit bei 60 Prozent und bei Jungen bei 25 Prozent.
Damit seien 40 Prozent der Mädchen, für die die HPV-Impfung von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen ist, nicht oder unzureichend gegen HPV geimpft, sagte Straub. Das entspreche jährlich 150.000 Betroffenen in Deutschland.
Zugleich erkrankten in Deutschland pro Jahr 4.600 Frauen an Gebärmutterhalskrebs. Und allein im Jahr 2020 seien 1.546 Frauen an dieser Erkrankung verstorben. Straub forderte alle Eltern auf, ihre Kinder gegen HPV impfen zu lassen. „Eine Impfung gegen HPV als Hauptverursacher des Gebärmutterhalskrebses kann die Erkrankung verhindern und damit Todesfälle vermeiden“, betonte er.
Verunglimpfungen in den sozialen Medien
Straub wies darauf hin, wie sicher die HPV-Impfung ist. In den sozialen Medien gebe es allerdings unsachliche Informationen darüber, in denen behauptet werde, die HPV-Impfung beeinträchtige das Sexualleben oder die Möglichkeit, Kinder zu überkommen. „Das sind tendenziöse Verunglimpfungen“, kritisierte Straub. „Gerade bei dieser Impfung gibt es überhaupt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.“
Auch Jungen profitierten von der Impfung, betonte er: „Die Impfung schützt Jungen durch die Senkung des Risikos für HPV-assoziierte Tumore und indirekt auch die Mädchen.“ Die Akzeptanz und Sensibilität für das Thema müssten deutlich wachsen, um die Inanspruchnahme der Impfung nachhaltig zu verbessern.
Dass die Impfung wirke, zeigten Analysen des Arzneimittelreports, sagte Straub. Erkrankten im Jahr 2011 noch 23 von einer Million Frauen zwischen 20 und 29 Jahren an Gebärmutterhalskrebs, waren es im Jahr 2022 nur noch sieben.
„Das ist ein Effekt der HPV-Impfung“, betonte Straub. Dieser Effekt sei bei den Frauen zwischen 30 und 39 Jahren nicht zu beobachten. Denn Frauen in dieser Altersgruppe hätten noch nicht von der seit dem Jahr 2006 zugelassenen Impfung profitieren können.
Tickende Zeitbombe
Auch Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Autor des Arzneimittelreports, betonte die Bedeutung der HPV-Impfung. „Während die Infektion mit dem sexuell übertragbaren HP-Virus bei jungen Frauen erfolgt, dauert es Jahre bis Jahrzehnte, bis sich ein Zervixkarzinom entwickelt“, erklärte er.
„Am häufigsten tritt das Zervixkarzinom zwischen dem 40. und 49. Lebensjahr auf, aber mitunter auch deutlich später, selbst bei über 90-jährigen Frauen.“ Die HPV-Infektion könne man vor diesem Hintergrund als tickende Zeitbombe bezeichnen.
„Dass fast jede vierte Frau im Alter bis 30 Jahren mit HPV infiziert ist, ist daher keine Marginalie, sondern hochgradig besorgniserregend“, so Grandt. „Besorgniserregend, aber auch unverständlich, denn die Infektion und die daraus resultierenden Tumorerkrankungen können wir durch Impfungen verhindern.“
Er wies darauf hin, dass die Entdeckung die Zusammenhangs zwischen HP-Viren und Gebärmutterhalskrebs durch Harald zur Hausen mit dem Nobelpreis für Medizin im Jahr 2008 ausgezeichnet wurde.
Todesfälle werden ansteigen
Es sei unverständlich, dass die Impfaktivität im Jahr 2022 bei Mädchen um 24 Prozent und bei Jungen um 32 Prozent zurückgegangen sei. „Es ist damit absehbar, dass die Rate vollständig geimpfter Jugendlicher in Zukunft sinken und die Anzahl von Todesfällen durch HPV verursachte Karzinome steigen wird“, so Grandt.
Als Gründe für die zurückgegangene Impfaktivität nannte Grandt, dass Eltern und Jugendliche sowohl zu den Risiken der HPV-Infektion als auch zur Möglichkeit des Schutzes durch die HPV-Impfung nicht adäquat informiert seien.
„Angst vor Nebenwirkungen ist der am häufigsten von über Facebook befragten Mädchen genannte Grund für die Ablehnung der HPV-Impfung, obwohl die Impfung sicher ist“, sagte Grandt. „Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Aufklärung auch über die von Jugendlichen genutzten sozialen Medien.“ Er befürwortete zudem die Einführung einer weiteren Vorsorgeuntersuchung für Kinder im Alter von neun bis zehn Jahren mit HPV-Impfangebot.
Dem Report zufolge hat sich das Impfverhalten der beteiligten Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Jahren geändert. Bei den Mädchen haben im Jahr 2015 Kinderärzte 50,6 Prozent der Erstimpfungen durchgeführt. Im Jahr 2022 waren es bereits 68,1 Prozent.
Bei den Hausärzten blieb der Wert mit etwa jeder sechsten Erstimpfung konstant. Bei Gynäkologen hat der Wert deutlich von 32,7 Prozent im Jahr 2015 auf 18,2 Prozent im Jahr 2022 abgenommen.
„Die im Jahr 2014 vom Robert-Koch-Institut geänderte Empfehlung, die HPV-Impfung bereits im Alter ab neun Jahren durchzuführen, hat die Bedeutung der Kinderärzte noch einmal deutlich erhöht. Sie sind inzwischen bei Jungen und Mädchen die ersten Ansprechpartner für die HPV-Impfung“, so Grandt.
Wie aus dem Arzneimittelreport weiter hervorgeht, gibt es bei den HPV-Impfquoten deutliche regionale Unterschiede. In Sachsen-Anhalt sind 75,7 Prozent der 17-jährigen Mädchen vollständig geimpft, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit 71,8 beziehungsweise 71,5 Prozent.
Die niedrigsten Quoten gibt es in Bayern, Bremen und Baden-Württemberg mit 51,3 beziehungsweise 54,2 und 55,2 Prozent. Deutliche regionale Unterschiede gibt es auch bei den Anteilen gegen HPV komplett ungeimpfter Mädchen. Die Spanne reicht hier von 12,5 Prozent in Sachsen-Anhalt bis hin zu 32,5 Prozent in Bayern.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: