Deutsche kennen HPV, Chlamydien und Co. oftmals nicht

Köln – 60 Prozent der über 16-jährigen in Deutschland kennen das Humane Papilloma Virus (HPV) nicht, Chlamydien sind 40 Prozent der Menschen unbekannt. Die Daten aus der repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat Miriam Gerlich vergangenen Freitag beim Deutschen STI-Kongress vorgestellt.
Weitaus bekannter sind dagegen HIV und AIDS mit 89 Prozent. Gonorrhö und Syphilis kannten ebenfalls über 80 Prozent der Befragten. Spontan nennen konnten die Infektionskrankheiten allerdings weitaus weniger Teilnehmende: Während HIV/AIDS 56 Prozent der Personen spontan einfielen, war dies für Syphilis und Gonorrhö in knapp 30 Prozent der Fall. Chlamydien und HPV wurden dagegen nur von elf beziehungsweise sechs Prozent der Personen genannt.
„Die neue Studie verdeutlicht, dass das Bewusstsein darüber, dass sich jede sexuell aktive Person potentiell mit einer STI anstecken kann, in der Bevölkerung nicht ausreichend verankert ist“, sagte Johannes Nießen, kommissarischer Leiter der BZgA.
Screening-Angebote ebenfalls unbekannt
Der kostenlose Chlamydientest für Frauen unter 25 Jahren war nur bei 16 Prozent der Teilnehmenden bekannt. In der Zielgruppe der 16- bis 25-jährigen Frauen war das Screening-Angebot allerdings etwas geläufiger: 43 Prozent wussten davon.
Für die „LIEBESLEBEN-Studie – Wissen, Einstellungen und Verhalten zu sexueller Gesundheit und sexuell übertragbaren Infektionen (STI)“ hat die BZgA im Dezember 2023 mehr als 4.600 Personen ab 16 Jahren zu ihrem sexuellen Gesundheitsverhalten und zu ihrem Wissen über sexuell übertragbaren Erkrankungen befragt.
Auch die HPV-Impfung erfreute sich keiner großen Bekanntheit: Während etwa ein Drittel der Befragten nicht wussten, dass Mädchen eine kostenlose HPV-Impfung erhalten können, wussten zwei Drittel der Befragten nicht, dass das gleiche auch für Jungen gilt.
Das spiegelt sich auch in der geringen HPV-Impfrate wider: Im Vergleich zu 2015 ist die Rate 2022 um 37 Prozent zurückgegangen, wie aus dem vergangene Woche veröffentlichten Arzneimittelreport der Barmer hervorgeht. Der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) hatte daraufhin unter anderem für Impfprogramme Schulen plädiert.
Obwohl Kondome das am häufigsten verwendete Verhütungsmittel in Deutschland sind, nutzten nur etwa die Hälfte derjenigen ohne feste Beziehung, die in den vergangenen 12 Monaten Sex hatten, dabei auch Kondome. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine vergangene Woche veröffentlichte WHO-Studie, die einen Rückgang der Kondomnutzung in den vergangenen Jahren verzeichnet.
Laut BZgA-Umfrage gehen viele Menschen davon aus, dass sie und ihr Sexualpartner oder -partnerin gesund seien. „Bei der Frage danach, warum beim letzten Sex kein Kondom zum Schutz vor STI verwendet wurde, gaben 62 Prozent an ‚ich bin sicher, dass wir beide gesund sind'", sagte Gerlich, Referentin im Referat Sexuelle Gesundheit, Prävention von HIV und anderen STI bei der BZgA, dem Deutschen Ärzteblatt.
Außerdem sei es so, dass teils in gynäkologischen Praxen das Wissen über Abrechnungen von STI-Testungen nicht vorhanden sei und Patientinnen ans Gesundheitsamt verwiesen würden. „Wir arbeiten zurzeit an einem Informationspaket für ärztliche Praxen", so Gerlich auf dem Kongress.
Ärztinnen und Ärzte spielten eine wichtige Rolle in der Förderung sexueller Gesundheit und in der Prävention von STI. „Aber die Tabuisierung von STI macht auch vor ärztlichen Praxen nicht halt", so Gerlich. Sowohl auf Patienten als auch auf Seiten der Ärzteschaft bestünden Unsicherheiten über das Thema zu sprechen.
Wissensverbreitung über TikTok
„Neben der Steigerung des Bewusstseins für und der Enttabuisierung von STI in der Gesamtbevölkerung adressiert die BZgA auch spezifisch junge Erwachsene, um die Wichtigkeit des Schutzes vor STI zu verdeutlichen und über Angebote wie das Chlamydien-Screening zu informieren“, sagte Nießen.
Mit verschiedenen Maßnahmen versucht die BZgA STIs bekannter zu machen. So beispielsweise mit der Influencer-Kampagne „#WissenWasRumgeht“ auf Tiktok und Instagram zur Bekanntmachung von Chlamydien, Die Kampagne hätte zu einem Wissenszuwachs und zu mehr Klicks auf der Seite liebesleben.de geführt, berichtete Gerlich.
Laut Gunda Waldmann von der LMU München ist Social Media für Schülerinnen und Schüler die zweithäufigste Aufklärungsquelle. Zu diesem Ergebnis kommt eine zwischen November 2023 und Februar 2024 durchgeführte Befragung zum Wissen über HIV und AIDS von mehr als 2.000 Schülern im Alter von durchschnittlich 15 Jahren aus unterschiedlichen Schulen. Die noch unveröffentlichten Daten stellte Waldmann bei der STI-Tagung vor. Noch häufiger nannten die Befragten die Schule als Ort der Informationsbeschaffung.
Massive Fehleinschätzung zu HIV und AIDS bei Schülern
Darin zeigten sich Waldmann zufolge viele Fehleinschätzungen oder Unwissenheit zu HIV und AIDS. „Wir waren mehr als schockiert von diesen Ergebnissen“, sagte Waldmann. Mehr als 28 Prozent der Schüler hätten beispielsweise angegeben, dass sie sich mit einer Person, die mit HIV lebt, lieber keine Toilette teilen wollten.
Bei der Möglichkeit sich mit HIV infiziert zu haben, sagte jeder Vierte, dass er nicht zu einer Ärztin gehen würde. 30 Prozent würden einen HIV-Test lieber Zuhause durchführen. Die Unwissenheit über den Ort, wo sie eine Testung durchführen lassen können, die mögliche Bekanntwerdung einer HIV-Infektion, und finanzielle Gründe, nannten die Schüler als Barrieren für eine Testung.
Vulnerable Gruppen sind Waldmann zufolge männliche Jugendliche, sowie Schülerinnen und Schüler von der Mittelschule. „Wir müssen die Zugangsbarrieren zum medizinischen System abbauen“, sagte Waldmann. Dafür müssten Jugendliche über ihre Rechte informiert und die Sichtbarkeit von Anlaufstellen erhöht und Hemmschwellen abgebaut werden.
Gezielte Aufklärung von Jugendlichen
Ein niedrigschwelliges Aufklärungsangebot will das Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin „Walk In Ruhr“ (WIR) in Bochum schaffen. In dem interdisziplinären Zentrum haben Jugendliche im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts mit der Knappschaft #unverschaemt die Möglichkeit, sich zu sexueller Gesundheit von sogenannten Health Advisors in einer offenen Sprechstunde beraten zu lassen. Brauchen sie nach der Beratung medizinische Hilfe, könnten sie entweder direkt oder innerhalb von wenigen Tagen einen ärztlichen Termin im Zentrum erhalten, berichtete Deniz Durak vom WIR.
Zwischen September 2021 und Juni 2024 seien in einer vierstündigen Sprechstunde pro Woche insgesamt 600 Beratungen durchgeführt worden, von denen 471 medizinisch weitergeleitet wurden. Dafür suchen die Mitarbeitenden gezielt den Kontakt zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen „Bei Events, etwa Festivals, haben wir bereits über 3.300 Beratungen durchgeführt“, so Durak.
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