IGeL-Leistungen laut MDS nicht in Einklang mit medizinischen Empfehlungen

Berlin – Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) hat kritisiert, dass manche Ärzte ihren Patienten Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) anbieten, die den Empfehlungen der Fachgesellschaften widersprechen.
„Die TOP 10 der IGeL-Leistungen werden von der alleinigen Augeninnendruckmessung für Glaukom-Früherkennung angeführt“, sagte der Geschäftsführer des MDS, Peter Pick, heute vor Journalisten in Berlin. Wie eine vom MDS in Auftrag gegebene Umfrage unter 2.072 gesetzlich Versicherten ergeben hat, wurde 22 Prozent der Befragten eine solche Untersuchung in den vergangenen drei Jahren angeboten.
Die alleinige Augeninnendruckmessung nannte der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) im Jahr 2012 einen „ärztlichen Kunstfehler“, da dabei jedes zweite Glaukom übersehen werde. Eine Früherkennung eines Glaukoms sei nur mit einer Untersuchung des Sehnervenkopfes mit zusätzlicher Augeninnendruckmessung möglich, so der BVA.
TOP 10 decken 53 Prozent aller IGeL ab
Am zweithäufigsten wurde den Befragten ein Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung angeboten. Dies war bei 19 Prozent der Fall. Beim Ultraschall der Eierstöcke handele es sich um eine Leistung, von der die Fachgesellschaft der Frauenärzte abrate, da in Studien kein Nutzen gezeigt werden konnte und es durch Überdiagnosen zu erheblichen Schäden kommen könne, so der MDS.
Die weiteren IGeL innerhalb der TOP 10 des MDS sind der Ultraschall der Brust zur Krebsfrüherkennung (12 Prozent), der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs (7 Prozent), der transvaginale Ultraschall des Bauchraums (7 Prozent), die Dermatoskopie zur Hautkrebs-Vorsorge (6 Prozent), Blutuntersuchungen ergänzend zur Kassenleistung (5 Prozent), Augenspiegelung mit Messung des Augeninnendrucks zur Glaukom-Früherkennung (5 Prozent), Reisemedizinische Versorgung (4 Prozent) und der HPV-Test zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs (4 Prozent). Die TOP 10 decken 53 Prozent der 131 verschiedenen IGeL ab, die angeboten wurden.
Trotz der hohen Inanspruchnahme stehen 59 Prozent der Befragten Individuellen Gesundheitsleistungen der Umfrage zufolge kritisch gegenüber. Skeptisch gesehen wird insbesondere der Einfluss auf das Patient-Arzt-Verhältnis. So gaben 55 Prozent der Befragten, dass sich durch die IGeL-Leistungen das Vertrauensverhältnis nicht verbessere. 39 Prozent der Befragten fühlen sich durch IGeL-Angebote in der Arztpraxis bedrängt.
MDS: IGeL orientieren sich nicht am medizinischen Nutzen
„Unser Fazit ist: Die IGeL-Angebote orientieren sich nicht am nachgewiesenen medizinischen Nutzen, sondern an den Vorlieben einzelner Arztgruppen und an den Umsatzinteressen der Praxen“, meinte Pick. „Zum Teil werden Patienten unter Druck gesetzt, damit sie solche Leistungen annehmen.“ Das sei nicht hinnehmbar.
Pick betonte allerdings, dass die Mehrheit der Ärzte ausführlich informiere und ihre Patienten bei der Abwägung der Vor- und Nachteile einer IGeL-Leistung unterstütze. Diese Ärzte respektierten dann auch die Entscheidung der Patienten.
BÄK informiert in einem Ratgeber über IGeL-Leistungen
„Solange Krankenkassen nicht alles bezahlen, was im Einzelfall medizinisch sinnvoll ist, kann man Individuellen Gesundheitsleistungen nicht per se eine Berechtigung absprechen“, erklärte die Bundesärztekammer (BÄK) in einem Statement. Wichtig sei es, dass Ärzte und Patienten seriöse Informationen zum richtigen Umgang mit IGeL erhielten. Und wichtig sei auch, dass Ärztinnen und Ärzte verantwortungsvoll mit diesen Selbstzahler-Leistungen umgehen.
Dazu hat die BÄK den Ratgeber „Selbst zahlen?“ zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin herausgegeben. Für das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Arzt ist „ein offener Umgang mit Selbstzahler-Leistungen unverzichtbar“, heißt es darin.
Der Ratgeber enthält Checklisten, mit denen sich Ärzte und Patienten über Fairness und Transparenz bei IGeL-Leistungen informieren können. Außerdem wird erklärt, was IGeL-Leistungen sind, warum gesetzlich Versicherte dafür zahlen und worauf jeder Patient bei solchen Leistungen achten sollte.
Kritik von den Frauenärzten
Die Frauenärzte sehen die Feststellungen des IGeL-Monitors kritisch. Viele IGeL seien so sinnvoll, in Studien erprobt und in Leitlinien empfohlen, dass sie eigentlich Kassenleistungen sein sollten, bedauerte Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Er bemängelte, die Krankenkassen hätten mit dem IGeL-Monitor ein Instrument des Medizinischen Dienstes geschaffen, das diese modernen „Individuellen Gesundheits-Leistungen“ in der Öffentlichkeit vielfach in Misskredit bringe.
Dabei werde von den Herausgebern so getan, als ob sich der IGeL-Monitor „im Einklang mit den Leitlinien“ befände. „In der Vergangenheit wurden jedoch vom IGeL-Monitor gerade solche Methoden als negativ bewertet, die hochgradig sinnvoll waren, in Leitlinien empfohlen wurden, und dann doch später in die Regelversorgung aufgenommen wurden, wie zum Beispiel das Screening auf Gestationsdiabetes“, monierte Albring.
Auch bei einer anderen frauenärztlichen Untersuchung, dem Ultraschall der Brust, schweige der IGeL-Monitor sich über die Empfehlungen in Leitlinien aus und lege fest, dass der Ultraschall der Brust in der Früherkennung des Brustkrebs einen „unklaren Nutzen“ habe. „Dabei wird gerade diese Untersuchung in der S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Brustkrebs bei dichtem Brustgewebe empfohlen; bei solchen Patientinnen werden in der Mammographie – seit vielen Jahren ist das bekannt – bis zu einem Drittel der frühen Krebserkrankungen übersehen“, erläuterte Albring.
Mängel in der Methodik
Erhebliche Zweifel meldet der Berufsverband der Frauenärzte an der Methodik an, die Statistiken des IGeL-Monitor zugrunde liegt. Die vorgestellten Zahlen stammten aus Befragungen von mehreren tausend Versicherten. Sie beruhten nicht auf Statistiken über Leistungen und Abrechnungen der Ärzte. Die Angabe, ob es sich bei der Untersuchung um eine umfassende Untersuchung aller weiblichen Geschlechtsorgane gehandelt habe oder um eine – sehr unwahrscheinliche – isolierte Untersuchung der Eierstöcke, sei einzig der Erinnerung der Patientinnen überlassen, hieß es vom Berufsverband der Frauenärzte.
„Wir gehen davon aus, dass kein einziges Mitglied des Berufsverbandes der Frauenärzte eine alleinige Ultraschall-Untersuchung der Eierstöcke vornimmt“, sagte Albring. Der ,Ultraschall des Bauchraums' komme in der Statistik des IGeL-Monitors ebenfalls vor, wurde aber nicht bewertet. „Leider ist es die undankbare Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, Patientinnen immer wieder erklären zu müssen, wieso innovative, sinnvolle und wichtige Leistungen von ihrer Krankenkasse nicht übernommen werden, und IGeL sind“, sagte Albring.
Nutzen der Früherkennung nicht in Frage stellen
Der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands wendet sich ebenfalls entschieden gegen die Äußerungen des MDS. „Untersuchungen zur Glaukom-Früherkennung sind die einzige Möglichkeit, eine das Sehvermögen bedrohende Erkrankung zu entdecken, bevor ein nicht wieder gut zu machender Schaden bis hin zur Erblindung des Auges eintritt“, erkärte der Verband. Diese Untersuchungen seien nicht Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), deshalb könnten Augenärzte sie ihren Patienten nur als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) anbieten.
Ludger Wollring, Pressesprecher des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands, kritisierte zudem die Methodik. Augenärzte böten als Glaukomscreening nur eine Kombination der Untersuchung des Sehnervs mit einer Augeninnendruckmessung an, denn nur dann kann ein Glaukom mit entsprechender Sicherheit gefunden werden, sagte er. „Eine alleinige Augeninnendruckmessung zur Glaukom-Früherkennung wäre ein Kunstfehler, den kein Augenarzt anbietet“, sagte Wollring. Dass Krankenkassenvertreter trotz vielfachen Hinweises jetzt wieder falsche Information verbreiteten sei „sehr ärgerlich“.
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