Impfpflicht und Vorteile für Geimpfte: Debatte dauert an

Bonn – Die Ministerpräsidenten der Länder wollen am 10. August zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über das weitere Vorgehen in der Coronapandemie beraten. Das hat Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) erklärt. Ursprünglich war die Konferenz für Ende August anberaumt. Themen dürften etwa die Vorteile für Geimpfte und eine Impfpflicht sein. Die Debatte dazu geht unterdessen ungehindert weiter.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verwies gestern auf die Möglichkeit, Restaurants nur für Geimpfte zu öffnen. „Die Vertragsfreiheit ermöglicht privaten Anbietern wie Gastronomen eine weitgehend freie Gestaltung ihrer Angebote“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wer seinen Gästen einen besonderen Schutz anbieten wolle, könne deshalb auch Angebote machen, die sich nur an Geimpfte richten.
Die Ministerin warnte davor, die Aussagekraft von Coronatests zu überschätzen. „Ein Test ist immer nur eine Momentaufnahme und beinhaltet keine schützende Immunisierung.“ Eine Impfpflicht schloss sie abermals aus. Jedoch solle die Allgemeinheit „nicht mehr auf Dauer für Testkosten aufkommen müssen, wenn Menschen ihre Impfangebote nicht wahrnehmen“.
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, hält Beschränkungen für Ungeimpfte in bestimmten Bereichen für sinnvoll. „Sind nur Geimpfte in einem Raum, ist die Ansteckungswahrscheinlichkeit fast gleich null“, sagte Gassen dem Handelsblatt.
„Deswegen kann ich jeden Kino-, Gaststätten- und Hotelbetreiber verstehen, der nur noch Geimpfte reinlässt.“ Es gebe für niemanden ein Recht auf Restaurant- oder Stadionbesuche. Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen könnten oder für die es keinen Impfstoff gebe, wie etwa Kinder, sollten laut Gassen von solch einer Regelung ausgenommen werden.
Angesichts steigender Fallzahlen rief Gassen Bund und Länder dazu auf, schnellstmöglich eine neue Coronastrategie zu erarbeiten. Die Kopplung der Inzidenz an Einschränkungen sei mit der aktuellen Quote von bereits 50 Prozent vollständig Geimpften nicht mehr vereinbar, sagte der KBV-Chef.
England, das alle Coronamaßnahmen trotz hoher Fallzahlen aufhob, könnte ein mögliches Vorbild sein. „Es klingt zynisch, aber im Grunde müssen wir Boris Johnson dankbar sein, dass er auf einen Schlag alle Maßnahmen aufgehoben hat und die Engländer nun dieses Experiment wagen“, sagte Gassen.
Derzeit gingen die Fallzahlen in Großbritannien tatsächlich wieder leicht zurück, „was den Eindruck bestätigen würde, dass nicht Einschränkungen, sondern Impfungen den größten Einfluss auf die Pandemie haben“. Gebe es keine problematische Auslastung der Intensivbetten, hätte der britische Premier Johnson mit seinem Kurs recht gehabt. „Dann könnten wir auch hierzulande bei einer vergleichbaren Impfquote letztlich alle Maßnahmen aufheben.“
Das Ethikratsmitglied Andreas Lob-Hüdepohl lehnt eine Impfpflicht momentan ab. Wegen der derzeitigen Impfbereitschaft sei sie noch nicht erforderlich, um eine Herdenimmunität zu erreichen, sagte der Berliner katholische Moraltheologe im Inforadio des rbb. Getestete Ungeimpfte könne man nur dann ausschließen, wenn es eine große Differenz in den Sicherheitslagen gebe. „Und dann ist das durchaus legitim, denn es gibt ja für alle ein Impfangebot.“
Für eine generelle rechtliche Impfpflicht gibt es nach Ansicht des Tübinger Ethikers Franz-Josef Bormann „aus guten Gründen sehr hohe Hürden“. Bormann sagte, nach moralischen Maßstäben sei jeder verpflichtet, über eine Impfung nachzudenken, „weil nur sehr wenig dagegenspricht“.
Für Berufsgruppen wie etwa Altenpflegekräfte oder Krankenhauspersonal kann allerdings aus Sicht des Mitglieds im Deutschen Ethikrat eine Impfpflicht das letzte Mittel der Wahl sein. Jeder habe die Verpflichtung, Schäden für sich und andere möglichst klein zu halten. Impfverweigerer sollen nach Bormanns Vorstellung künftig ihre Tests selbst zahlen, wenn sie ein Impfangebot ausgeschlagen haben.
„Keiner hat die Pflicht, überhaupt gar kein Risiko für andere Menschen zu sein. Dann dürften wir alle auch nicht Auto fahren“, sagte die Medizinethikerin Christiane Woopen dem Tagesspiegel. Es gebe aber die moralische Pflicht, auf die Gesundheit anderer möglichst gut aufzupassen und sie nicht willkürlich zu gefährden.
Zugleich sagte Woopen, dass es auch ein „fundamentaler Eingriff“ sei, Ungeimpfte von „Lebenschancen“ auszunehmen. „Wenn es Möglichkeiten gibt, diese Menschen zum Beispiel durch PCR-Tests nicht von Freiheiten auszuschließen, dann gibt es keine Rechtfertigung für einen Ausschluss. Dann bleibt nur noch zu diskutieren, wer die Tests zahlt.“
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: