Impfpflichtdebatte im Bundestag zeigte zerrissene Lager

Berlin – Kontrovers, emotional und zudem überschattet von einem heftigen Streit zwischen Regierung und Opposition bezüglich des Umgangs mit der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi zu Beginn des Parlamentstages diskutierte der Deutsche Bundestag heute in erster Lesung fünf vorliegende Anträge zum Thema der allgemeinen Impfpflicht.
Eine nötige einfache Mehrheit – derzeit 369 Stimmen – für einen der Vorschläge zeichnet sich jedoch heute noch nicht ab. Nach einer zweiten und dritten Lesung im Bundestag ist Anfang April die Abstimmung ohne Fraktionszwang vorgesehen.
Zur Debatte heute im Bundestag stand ein interfraktioneller Gesetzentwurf, in dem Vertreter der Ampelkoalition für eine Impfpflicht ab 18 Jahren plädieren, die ab 1. Oktober greifen bis Ende 2023 befristet sein soll. Ein Entwurf einer Gruppe um den FDP-Abgeordneten Ullmann setzte sich für eine Beratungspflicht und eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahren je nach Coronalage und Stand der Impfkampagne ein.
CDU und CSU machen als Fraktion einen eigenen Vorschlag. Dem Unionsvorschlag eines „Vorsorgegesetzes“ zufolge soll es einen gestuften „Impfmechanismus“ geben und ein Impfregister aufgebaut werden.
Je nach Situation könnte später gesondert durch das Parlament eine Impfpflicht beschlossen werden, aber nur für bestimmte besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen. Einen Antrag gegen die Einführung einer Impfpflicht hat ferner eine interfraktionelle Abgeordnetengruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki eingebracht. Zudem stellte die AfD einen eigenen Antrag gegen die Einführung einer Impfpflicht.
So konträr wie die Entwürfe selbst verlief auch heute die Debatte im Parlament: Das Virus sei nicht berechenbar. Es müsse deshalb jetzt die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass man nicht noch einmal von einer Welle überrollt werde, sagte Heike Baehrens (SPD), Mitinitiatorin der Vorlage für die Impfpflicht ab 18 Jahren. Um die Gesellschaft zu schützen, müsse eine hohe Grundimmunisierung aufgebaut werden: Je weniger Erkrankungen es gebe, desto schnelle könne zu einem Leben ohne Freiheitseinschränkungen zurückgekehrt werden, so die SPD-Gesundheitsexpertin.
Dem pflichtete auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei: „Bringen wir diese Pandemie hinter uns, erledigen wir das Virus und kehren wir dann zur Freiheit zurück“, sagte er. Vorsorge bedeute Denken in Eventualitäten. Die Freiheitsinterpretation von wenigen dürfe nicht zu einer permanenten Freiheitseinschränkung von vielen führen, mahnte er.
Neben Habeck haben sich dem Entwurf auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sowie dem Vernehmen nach mehr als 200 weitere Abgeordnete angeschlossen.
Der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann warb für seinen Vorschlag, eine Beratungspflicht für alle ab 18 Jahren einzuführen – mit der Möglichkeit, später eine Impfpflicht ab 50 Jahren zu schaffen. Sein Entwurf baue Brücken, sagte der Würzburger Infektiologe.
Seine Gruppe traue den Menschen zu, die eigenverantwortlich richtige Entscheidung zu treffen – mit einer guten und professionellen Aufklärung. Eine Impfpflicht dürfe nur die „ultima ratio“ sein. Laut Ullmanns Büro haben sich dem Entwurf bisher 45 Politiker angeschlossen, darunter etwa SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne).
„Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Impfpflicht tot“, meinte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Sepp Müller. Im Bundestag gebe es keine Mehrheit für sie. Müller warb stattdessen für den Vorschlag eines Vorsorgegesetzes seiner Fraktion, der mehrheitsfähig sei. Auch Tino Sorge (CDU) sieht den Unions-Antrag als Kompromiss. Angesichts der unvorhersehbaren Entwicklungen seien keine pauschalen Regelungen möglich.
Manuel Höferlin (FDP) wandte sich gegen jegliche Impfpflicht und unterstützte damit den Vorstoß von FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki. Die Impfung schütze zwar vor schweren Krankheitsverläufen oder dem Tod, aber nicht vor Ansteckung und einer Infektionswelle. Daraus könne keine Impfpflicht resultieren.
Wer anstatt einer Impfung lieber eine Maske trage, habe das gute Recht, dies so zu entscheiden. Statt auf Zwang solle auf Einsicht gesetzt werden. Diesem interfraktionellen Entwurf haben sich nach Angaben aus Kubickis Büro 50 Abgeordnete verschiedener Parteien angeschlossen, darunter zum Beispiel Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht von der Linken.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel wandte sich ebenfalls gegen jegliche Impfpflicht und verwies auf dem eigenen Antrag der AfD. Die Impfung schütze nicht vor Ansteckung und sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, sagte sie. Auch auf den Intensivstationen lägen auch viele Geimpfte und Geboosterte. „Die Argumente für die Impfpflicht waren von Anfang an schwach und sind wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen."
Zum Abschluss der Debatte warb Karl Lauterbach erneut nachdrücklich um Unterstützung für eine allgemeine Coronaimpfpflicht, jedoch nicht als Bundesgesundheitsminister, sondern als SPD-Abgeordneter. „Wir können die Pandemie für Deutschland zum ersten Mal beenden mit der Impfpflicht“, sagte er. Ansonsten stünde man im Herbst an der gleichen Stelle wie jetzt.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Herbst keine Schwierigkeiten haben, die Coronapandemie zu bekämpfen, liegt bei fast null Prozent“, so der Epidemiologe. „Und das ist fast so wahrscheinlich, als dass wir gar keinen Herbst bekämen.“ Das Land dürfe nicht wieder vor einer Überlastung des Gesundheitssystems stehen und über Beschränkungen diskutieren, mahnte er.
Die Menschen dürften nicht „in der Geiselhaft“ einer Gruppe sein, die sich gegen die weltweite wissenschaftliche Evidenz durchsetzen wolle. Ungeimpfte trügen derzeit die Verantwortung dafür, dass man nicht weiterkomme. Es gehe darum, schwere Erkrankungen und den Tod zu verhindern. „Dafür haben wir die Impfstoffe."
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